18. Februar 2016

Sicherheit oder Privatsphäre? US-Regierung vs. Apple


Herstellung von Sicherheit als Kernaufgabe des Staates, das ist ein Gedanke, der jedem Hobbesianer bestens vertraut ist. In den USA ist nun ein Grundsatzstreit entbrannt, zu welchen Mitteln der Staat in Zeiten des Smartphones dabei gehen darf. Dem FBI gelingt es nicht, das iPhone eines der Attentäter von San Bernadino zu knacken. Apple hat nämlich einen einfachen, aber wirkungsvollen  Mechanismus installiert, die auf dem Smartphone gespeicherten Informationen zu schützen. Das Gerät ist durch eine 4-6stellige PIN geschützt, soweit alles normal. Aber, wird die PIN zehnmal falsch eingegeben, löscht das Gerät alle gespeicherten Daten. Damit wird der Plan des FBI vereitelt, einfach so lange computergenerierte PINs an das iPhone zu senden, bis endlich die richtige gefunden ist. Das FBI bzw. die US-Regierung verlangen jetzt von Apple, dass die Firma einen Weg findet, diese Funktion zu deaktivieren. Apple weigert sich.
Das Argument der Regierung ist naturgemäß die Allzweckwaffe Sicherheit. Auf dem Gerät könnten Informationen sein, die nicht nur post hoc helfen, mehr über den Anschlag und die Attentäter zu erfahren, sondern die vor allem relevante Hinweise für weitere Schutzmaßnahmen geben könnten, z.B. Informationen zu weiteren Beteiligten, zu Kommunikationswegen usw. Und das sollte man nicht kleinreden, wie das manche Kommentatoren tun (z.B. Spiegel Online), denn es stimmt. Genau weiß man natürlich erst nach der Auswertung des iPhones, was drauf ist, aber die Möglichkeit  wichtiger Informationen ist bei einem Attentäter, der in Erwartung, nicht mehr zurückzukommen, sein Baby zuhause gelassen hat, um zusammen mit seiner Frau möglichst viele Menschen zu töten (am Ende waren es 14) und sich dafür auf den IS berufen hat, groß genug, besser mal nachzuschauen.

Apple kann das alles verstehen, ihnen geht es aber nicht so sehr um diesen konkreten Fall, sondern darum, dass die Technologie, die das FBI haben will, und die Apple erst entwickeln müsste, natürlich auf alle iPhones anwendbar ist. Wer immer diese Technologie hat, kann damit auf jedes iPhone der Welt zu jeder Zeit zugreifen. Und klar, auch das stimmt. Wenn eine Technologie geschaffen wird, die Verschlüsselung zu umgehen, wird das System – theoretisch – für alle knackbar. 

Allerdings, so ganz überzeugt mich das Argument nicht. Wenn Apple über die Fähigkeit verfügt – und das geben sie ja implizit zu –, ein Programm zu schreiben, das die bisherigen Sicherungsmaßnahmen umgeht, dann ist es jetzt schon theoretisch möglich, ein iPhone zu knacken. Die tatsächliche Entwicklung eines solchen Programms durch Apple ändert an dieser Situation nichts. Möglicherweise ist man in der Praxis auf die Hilfe des Herstellers angewiesen. Dann allerdings scheint mir die Befürchtung, dass in Zukunft auch die Russen auf unsere iPhones zugreifen, eher gering. Die Sorge müsste dann wohl eher sein, dass die US-Regierung nach diesem Präzedenzfall in Zukunft gerne immer dann diese praktische Technologie nutzen will, wenn es sich gerade anbietet, von Steuerhinterziehung, über die Aufklärung eines Autounfalls bis zu Spionagezwecken. 

Der Gedanke ist berechtigt, aber wäre das wirklich schlimm? Natürlich will keiner, dass ein totalitäres System unsere Smartphones und Tablets in die Hände bekommt, im Moment setze ich aber voraus, dass wir, also die westlichen Demokratien, sozusagen die Guten sind. Wer hierüber anders denkt, scheint mir ein größeres Problem als die mögliche Backdoor in einem Smartphone zu haben. Also, warum sollte – bleiben wir beim Anlass – bei Massenmord mit Wiederholungsgefahr verhindert werden, dass die entsprechenden Behörden Zugriff auf elektronische Daten erhalten, wenn es eben nur diese Behörden sind und nicht plausibel zu befürchten steht, dass andere Regierungen hierdurch ebenfalls Zugriff auf diese Technologie erhalten? Jetzt ist meine Frage nur noch rhetorisch, unterm Strich scheint mir die Argumentation des Staates bei weitem triftiger als die von IT-Unternehmen und Datenschützern, auch mit Blick auf weitere Straftaten. 

Der Fall hat jedoch noch einen weiteren interessanten Aspekt, auf den die mediale Berichterstattung zu wenig eingeht, und der zumindest ein etwas schräges Licht auf meine Annahme wirft, in den westlichen Demokratien könnten wir dem Staate mal einfach so vertrauen. Im Moment gibt es in den USA nämlich kein Gesetz, dass es den Behörden zweifelsfrei erlauben würde, unter bestimmten Voraussetzungen Kryptiertechnologie zu umgehen, also genau das, was das FBI jetzt will. Die US-Regierung wollte ein solches Gesetz zwar einbringen, hat es aber aufgrund der öffentlichen Meinung nach den Snowden-Enthüllungen erstmal weit nach hinten geschoben. Auf welcher Grundlage verlangt man also von Apple, das eigene Produkt zu hacken? Ganz einfach, auf der Basis eines Gummiparaphen aus – kein Witz – dem 18. Jahrhundert. Der All Writs Act von 1789 erlaubt es Richtern, Anordnungen zu erteilen, die angemessen und gesetzmäßig sind. Mit so einer Vorschrift lässt sich alles begründen. Vielleicht bin ich eine Spur hysterisch, aber dieses Vorgehen scheint mir doch eine interessante Selbstauskunft. Die US-Regierung lässt sich durch das Fehlen einer klaren gesetzlichen Grundlage nicht lange aufhalten; wenn gerade keine da ist hat, nimmt man halt irgendeine. So leidet natürlich jeder Rechtsstaat schnell Schaden. Für mich ist eher dieses Vorgehen problematisch als der eigentliche Anlass.

Trotzdem kann man fragen, ob das Anliegen von FBI und Regierung nicht auch dann berechtigt ist, wenn die gesetzliche Grundlage gar nicht oder nicht ausreichend klar vorhanden ist. Wer nein sagt, muss eben in Kauf nehmen, dass beispielsweise wichtige Erkenntnisse zur Verhinderung von Terroranschlägen verloren gehen könnten und in irgendeinem Falle auch tatsächlich verloren gehen werden. Trotzdem eine valide Position. Für mich selbst steht am Ende allerdings die Kernfunktion des Staates im Vordergrund. Dafür bin ich bereit, auch den ein oder anderen krummen Weg in Kauf zu nehmen.

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