26. Oktober 2016

Argumente für Videoüberwachung

Der deutsche Innenminister bekennt Farbe. De Maizière spricht sich für eine deutliche Ausweitung der Videoüberwachung in Bahnhöfen und Einkaufszentren aus und kündigt hierzu einen Gesetzesentwurf an, der sich momentan in der Ressortabstimmung befinde. Dabei soll, so technisch realisierbar, über die bloße Videokamera hinaus auch Gesichtserkennung eingesetzt werden, also ein Abgleich mit Datenbanken. Grüne und FDP sind dagegen, von den anderen Parteien war noch nicht viel zu hören.

Die Argumente der Kritiker sind in folgendem Ausschnitt aus einer Presseerklärung des FDP-Politikers Kubicki von heute ganz gut zusammengefasst. Darin heißt es:

Wichtiger und effektiver wäre es, die bestehenden Gesetze zum Schutz der Menschen konsequent anzuwenden. Deren Vollzug hat stets Vorrang vor neuen Gesetzen. Wir brauchen eine erhöhte Präsenz der Polizei im öffentlichen Raum, gezielte anlassbezogene Maßnahmen, eine enge Zusammenarbeit der verantwortlichen Sicherheitsbehörden und einen wirksamen Vollzug. Gefährder müssen gezielt überwacht werden, statt alle Bürger unter Generalverdacht zu stellen.

Vielem kann ich mich durchaus anschließen, der Schlussfolgerung – Ablehnung der Pläne des BMI – allerdings nicht.

22. Oktober 2016

Abgesang auf Europa

Die EU ist nicht in der Lage zu einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik, weil mehrere Länder sich glatt verweigern, die die EU in erster Linie als praktische Einnahmequelle sehen. Sie findet keinen Kurs gegenüber einem immer aggressiver werdenden Russland, dessen eklatante Brüche des Völkerrechts keinerlei Konsequenzen haben und teils sogar auf Sympathie stoßen. Großbritannien tritt aus der EU aus. Es drohen Referenden über einen EU-Austritt in weiteren wichtigen Mitgliedsstaaten wie Frankreich oder den Niederlanden. Eine belgische Provinz schafft es mühelos, den Abschluss eines sieben Jahre lang verhandelten Handelsvertrages der gesamten EU mit Kanada zu blockieren und erntet breite Zustimmung seitens der EU-Bürger selbst. Verschiedene EU-Staaten driften in Richtung eines autoritären, antidemokratischen Systems. Über den Kontinent schwappt eine Welle der Fremdenfeindlichkeit.


Diese Aufzählung klingt nach einer Dystopie, aber es ist die Wirklichkeit, so ist der Zustand der EU am Vormittag des 22. Oktober 2016. Vor wenigen Jahren undenkbar, ist es in sehr kurzer Zeit so weit gekommen. Und der Prozess der Erosion und Auflösung wird sich vermutlich noch fortsetzen. Manchmal denke ich, wir rasen dem Abgrund entgegen und merken es nicht einmal. Das Projekt des Westens, der Aufklärung, der Demokratie, der Menschen- und Bürgerrechte, des freien Handels, des Vorrangs einer gemeinsamen europäischen Kultur und Identität vor nationalen und regionalen Egoismen und der Sicherung des Friedens scheint vorerst am Ende. Erlegt von innen, durch EU-Bürger und Regierungen selbst, die den Blick fürs Große/Ganze verloren haben. Statt dessen Intoleranz, Nationalismus, kurzsichtiger Egoismus, der Wunsch nach einer autoritären Politik des Durchgreifens, die Entschlossenheit, nicht länger zu akzeptieren, dass auch Minderheiten und politische Gegner die gleichen Rechte haben wie man selbst. Die Sehnsucht nach einer Politik der Reinheit und Abschottung. Europa Oktober 2016, der Wahnsinn regiert. 

11. Oktober 2016

Quo vadis USA

Die zweite Debatte zwischen Clinton und Trump ist ein wenig enttäuschend verlaufen. Meine Hoffnung war, dass Clinton zur endgültigen Exekution schreitet, es stellt sich aber erneut heraus, dass Schlagfertigkeit, Ironie und die Fähigkeit zur gelungenen ad-hoc-Formulierung nicht ihre größten Stärken sind. Man stelle sich Obama in der Situation vor, ich glaube, er hätte Trump genußvoll filetiert.

Die Stärke von Clinton sind dagegen Fleiß und Professionalität. Ihre Wahlkampfmaschinerie ist ein perfekt organisiertes Hochleistungszentrum. Deshalb bin ich mir auch ohne weitere Beweise sicher, dass das Clinton-Team hinter den letzten Enthüllungen über Trump steckt, seien es seine Steuerunterlagen, sei es die Aufnahme mit seinen widerwärtigen Prahlereien. Und wo das herkam, dürfte noch mehr sein. Auch die republikanische Parteiführung geht mittlerweile davon aus, dass es bis zur Wahl noch weitere Enthüllungen über ihren Kandidaten geben wird.

Es besteht Grund zum Aufatmen.  Clinton liegt im Moment etwa 10 Prozentpunkte vor Trump, nicht weil sie so beliebt ist, au contraire, sondern weil sie konsequent dafür sorgt, dass Trump ein noch geringeres Ansehen genießt als sie selbst. Eine weitere Enthüllung im Stile der letzten und der Mann dürfte endgültig erledigt sein, wenn er es nicht bereits ist. Mir ist allerdings ein Rätsel, wie die Republikaner nach der Präsidentenwahl weitermachen wollen. Die Partei hat sich selbst zerlegt. Dass immer noch viele Republikaner einen Mann unterstützen, der allen Ernstes live im Fernsehen ankündigt, er würde als Präsident dafür sorgen, dass seine politische Gegnerin weggesperrt würde, müsste jedem Menschen, dem Rechtsstaatlichkeit und Demokratie etwas bedeuten, eine weitere Zusammenarbeit nicht nur mit Trump selbst, sondern auch allen seinen Unterstützern eigentlich unmöglich machen. Man darf gespannt sein, ob sich nach der Wahl eine neue Partei formiert, entweder aus den Unterstützern oder den Gegnern von Trump.

9. Oktober 2016

Demokratie braucht Bürger

Brexit im Juni, nun die Ablehnung des Friedensabkommens zwischen Regierung und FARC in Kolumbien. Beide Entscheidungen getroffen durch die Wähler – oder besser gesagt durch diejenigen, die sich die Mühe gemacht haben, abzustimmen, denn der überwiegende Teil der Wählerschaft hatte in beiden Fällen trotz der Bedeutung der jeweiligen Entscheidung lieber etwas anderes vor.

Anderes Beispiel: Trump. Man muss über den Mann nichts weiter sagen, wohl aber über seine Unterstützer. Ca. 42% der Bevölkerung wünschen sich Trump als Präsident. Was immer er sich leistet, es macht diesen Menschen nichts aus. Mir scheint, das sind 42%, die bestimmt mal gerne auf die Kacke hauen, aber sich im Grunde nicht wirklich für die Anforderungen des Amtes und die Qualifikationen des Kandidaten interessieren.

Man stellt sich (direkte) Demokratie gerne als etwas Schönes vor, aber die Realität sieht oft ziemlich häßlich aus und das liegt an den Bürgern, nicht den Politikern. Ein pluralistisches Meinungsbild ist normal und gesund. Viele Menschen aber sind schlichtweg nicht bereit, sich die Mühe zu machen, Bürger in einer Demokratie zu sein. Wenn sie etwas nicht wissen oder verstehen, sind die Politiker schuld, die es ihnen hätten sagen sollen. Allerdings verfolgen sie nicht wirklich den politischen Diskurs und setzen sich nicht mit den dort vorgetragenen Argumenten auseinander. Sie möchten einfach, dass alles funktioniert und sie sonst nicht weiter gestört werden. Auf den Gedanken, sich ernsthaft mit den Anliegen ihres Gemeinwesens zu befassen bzw. dass sie selbst eine Verantwortung tragen, kommen nur die wenigsten. Das mag oft lange gut gehen, ist aber im Grunde ein verdammt fragiler Zustand. Sobald die Zeiten bewegter und emotionaler werden, werden diese Menschen und damit die Demokratie selbst zu einem Risiko oder sogar einer Gefahr. Genau das ist für mich eine Lehre aus den letzten 2-3 Jahren: Unsere Verhältnisse sind sehr viel weniger stabil als wir gedacht haben.