31. Juli 2016

Denker des Terrors - Sergej Netschajew

Sergej Netschajew war eine ziemlich verkrachte Existenz. Bekannt geworden als Führer einer radikalen Studentengruppe, musste er ins Ausland fliehen, freundete sich mit Bakunin an, der sich später wieder von ihm distanzierte, schrieb 1869 mit 22 Jahren den Katechismus des Revolutionärs, kehrte nach Russland zurück, gründete eine neue radikale Kleingruppe, ermordete mit anderen einen abtrünnigen Genossen und setzte sich wieder in die Schweiz ab, wo er später verhaftet und an Russland ausgeliefert wurde. Damit sind seine politischen Handlungen in ihrer Gesamtheit beschrieben. Er starb mit 35 Jahren im Gefängnis.

Dass er trotzdem berühmt geworden ist, hat zwei Gründe. Zum einen hat Netschajew eine starke Faszination auf Dostojewski ausgeübt, der seine Figur sowie die den von ihm verübten Mord in den Dämonen verarbeitet hat.

27. Juli 2016

Die Wahrheit ist niemals böse



Russische Dienste hacken sich in die Computer der Demokratischen Partei in den USA. Über Monate ziehen sie Dokumente ab, darunter viele, die beweisen, dass die Parteiführung und –prominenz von vornherein, also lange bevor die Vorwahlen über die Präsidentschaftskandidatur entschieden haben, gegen Sanders und für Clinton waren. Richtig wäre gewesen, sich in einem innerparteilichen Wettstreit, der durch Wahlen entschieden werden soll, neutral zu verhalten. 

Jetzt ist das Ganze punktgenau zum Parteitag der Demokraten bekannt geworden. Hacken im Regierungsauftrag ist inzwischen normal, dass man die gewonnenen Erkenntnisse aber nutzt, um – möglicherweise – politischen Einfluss auf die Wahlen in einem anderen Land zu nehmen ist neu. Dementsprechend richtet sich ein Großteil der Aufregung auf die bösen Russen.

Andererseits, es ist ja alles wahr. Keiner behauptet, dass die Russen irgendetwas gefälscht hätten. Nein, die obere Schicht der Demokraten hat unter Verletzung der Neutralität mit einer Kandidatin gekungelt. Das ist ein wichtiger Vorgang und warum sollte das nicht öffentlich gemacht werden, auch und gerade dann, wenn es vielleicht das Verhalten von Delegierten und Wählern beeinflusst? 

Ich möchte daher die These aufstellen, dass eine Beeinflussung durch Wahrheit prinzipiell nicht verwerflich sein kann. Im Gegenteil, je mehr Wahrheit, desto besser, und zwar nicht nur in demokratisch verfassten Gesellschaften, sondern überall und immerdar. Nur so können Menschen begründete Entscheidungen darüber treffen, was sie für richtig halten und was nicht. Die russischen Nachrichtendienste haben sich um die Aufklärung und die Freiheit verdient gemacht.

26. Juli 2016

Die offene Gesellschaft und ihre Feinde - die BürgerInnen selbst

Vor einem Jahr hieß es, Donald Trump habe keine Chance, weder bei den Vorwahlen der Republikaner, und schon gar nicht in der eigentlichen Präsidentschaftswahl. Nach dem letzten Metapoll (Durchschnitt der 8 wichtigsten Umfragen zu den US-Präsidentschaftswahlen) hat Trump die Führung übernommen, sehr knapp, aber – und das ist möglicherweise bedeutsamer – der Trend geht in seine Richtung. Clintons Umfragewerte, vor allem in puncto Vertrauenswürdigkeit, Sympathie usw., sind im Grunde desaströs, sie hat seit März kontinuierlich an Zustimmung verloren.

Erinnern wir uns an Brexit-Abstimmung. Klar war, dass es knapp werden würde. Und doch haben die allermeisten, von den Wettbüros bis zu den Brexit-Befürwortern Farage und Johnson, geglaubt, dass Großbritannien für den Verbleib in der EU stimmen würde. Am nächsten Morgen dann der Schock.

23. Juli 2016

Terror - wie können wir uns schützen?

Die Anschläge reißen nicht ab. Die derzeitige Wochentaktung wird zwar irgendwann wieder aufhören, ganz abreißen wird es aber nicht, schon gar nicht, solange der IS um sein Überleben und seine Zukunft kämpft. Wie können wir uns also schützen?

Erstmal muss klar sein, dass wir uns überhaupt nicht völlig schützen können, aber das hat, glaube ich, inzwischen auch jeder verstanden. Das heißt aber nicht, dass wir deshalb gar nichts tun können und einfach seufzend die Hände in den Schoß legen müssen, im Gegenteil, wir könnten noch einiges tun – wenn wir es denn wollen.

Eine erste dringende Maßnahme wäre eine erhebliche personelle und möglicherweise auch materielle Verstärkung der Polizei.

21. Juli 2016

Unser Krieg mit dem IS - letzter Stand

Beginnen wir mit den guten Nachrichten. Nach dem überraschend schnellen Fall von Fallujah vor einigen Wochen und weiteren militärischen Erfolgen gegen den IS, bereiten sich der Irak und die Anti-IS-Koalition auf den Angriff auf Mosul vor. Die irakische Führung spricht bereits davon, Mosul nicht erst Ende des Jahres, wie bisher gedacht, sondern bereits im Herbst einzunehmen. Auch der IS, der in Mosul wahrscheinlich über ca. 10.000 Kämpfer verfügt,  bereitet sich auf den Angriff vor und versucht, einerseits Freiwillige in ansässigen Bevölkerung zu gewinnen sowie gleichzeitig jede Art von Opposition mittels Exekutionen zu unterdrücken

Fallujah hatte bereits Symbolkraft, weil es seit dem Einmarsch der USA im Irak 2003 eine der Bastionen des IS bzw. seiner Vorläuferorganisationen war; Mosul hat es erst recht, denn hier wurde im Juni 2014 das Kalifat verkündet. Wenn die Millionenstadt Mosul fällt, ist endgültig klar, dass das Kalifat nicht mehr lange existieren wird, auch wenn die Bedingungen in Syrien für den weiteren Kampf sicherlich komplizierter sind als im Irak. Ähnlich wie in Fallujah, ist es gut möglich, dass der IS gar keinen großen Endkampf inszeniert, sondern lieber seine Kräfte schont, die Kämpfer untertauchen lässt und sich auf die Zeit nach dem Kalifat vorbereitet.

Denn – und damit kommen wir zu den weniger erfreulichen Entwicklungen – das Ende des Kalifats ist ganz sicher noch nicht das Ende des IS.

17. Juli 2016

Kriterien für einen erfolgreichen Putsch

Meine Liebste und ich haben – wie Millionen anderer – den Putschversuch in der Türkei live auf Twitter verfolgt. Und bereits während der ersten 2 Stunden wurde klar, dass aus Sicht der Putschisten so einiges schiefläuft. Nun ist der Erfolgsdruck bei einem Putsch ziemlich hoch, sonst hat man nämlich Trauer. Das Interesse, sich gut vorzubereiten und dann das Ganze professionell durchzuziehen ist also groß. Wenn man sich zu einem Putsch entschließt, sollte man deshalb auf folgende Kriterien achten[i]:

-       Herstellung einer Übermacht an bewaffneter Gewalt: Die Putschisten sind ziemlich schnell mit Gegenwehr konfrontiert worden. Ganz offensichtlich gab es genügend Teile in Militär und Sicherheitskräften, die nicht bereit waren mitzumachen und sich den Putschisten sogar entgegengestellt haben. Schlecht!

13. Juli 2016

Klimawandel und Sicherheit

Vor einigen Wochen wurde ich gefragt, ob ich einen Artikel für Le Monde Diplomatique zu den sicherheitspolitischen Auswirkungen des Klimawandels schreiben wolle. Daraus ist nichts geworden, nachdem sich herausstellte, dass vor einem Jahr an selber Stelle genauso ein Artikel bereits erschienen war, der jetzt einfach nochmal abgedruckt wird. Ich habe also nach einer guten Woche Recherche die Arbeit an dem Artikel wieder abbrechen müssen und mich wieder meinem Standardthema Terrorismus zugewandt.

Zwei Beobachtungen, die ich in dieser kurzen Zeit machen konnte, haben mich aber beeindruckt:

1) Ganz egal, wie bescheuert uns die Diskussion in den USA zu diesem Thema oft erscheinen mag, es gibt eine Institution, die bereits seit mindestens 10-15 Jahren den anthropogenen Klimawandel und dessen sicherheitspolitische Relevanz als unumstößliche Tatsache akzeptiert, und das sind die US-Streitkräfte.

12. Juli 2016

Rigaer Str. 94

Der Eigentümer der Rigaer Str. 94, eine Investment-Gesellschaft mit Sitz in London, möchte zwei Wohnungen im Hinterhaus umbauen, braucht dafür aber Polizeischutz, weil die Arbeiter bedroht und an ihrer Tätigkeit gehindert werden. Die Polizei rückt an und hat seit Ende Juni eine recht starke Dauerpräsenz im bzw. um das Haus aufgebaut. Daraufhin ziehen 2.000 Demonstranten, viele gar nicht aus Berlin, durch Friedrichshain und – so alle Medienberichte – greifen die die Demonstration begleitende Polizei mit Steinen und anderen Gegenständen an. Über 100 Polizisten verletzt, die linke Szene in Kampfeslaune gegen das System, die übrigen Anwohner in der Rigaer Straße haben die Schnauze voll und wollen eine Lösung durch Reden, die Bezirksbürgermeisterin sagt, ja, man müsse über alles (!) sprechen, der Innensenator lehnt Gespräche aus prinzipiellen Erwägungen ab und hat den ihm eigentlich nicht sehr wohlgesonnenen Regierenden Bürgermeister dabei auf seine Seite gezogen, im Moment weiß keiner, wie es weitergeht. So ungefähr die Lage am Montagabend.

Es wäre jetzt kindisch, so zu tun, als könne man jetzt alle Ansprüche und Sichtweisen in Ruhe abwägen, um dann sine ira et studio die richtige Lösung verkünden. Wie man die Situation um die Rigaer Straße findet, was man wie gewichtet, das hängt von der eigenen politischen Einstellung ab, und die fällt ziemlich unterschiedlich aus.

9. Juli 2016

Das Gift des Bösen

Der IS hat ein neues englischsprachiges Video veröffentlicht, in dem es ihm vor allem darum geht, seine Struktur zu erläutern. Das viertelstündige Video folgt in Bildern und Tönen ganz der inzwischen bekannten IS-Ästhetik: gekonnte computergenerierte technische Effekte, professionelle Kameraführung, religiöse A-cappella-Gesänge (sog. Naschids), Bilder der glücklichen Kinder und Untertanen im Kalifat, viel Krieg und Militär und in den letzten drei Minuten ziemlich drastische Aufnahmen von Enthauptungen, einmal mit Schwert, ansonsten – sehr viel schlimmer – mit Messern, von verstümmelten Leichen sowie von Exekutionen im Stil der SS-Einsatzgruppen (knieende Gefangene, Kopfschuss von hinten).

Während ich keinen Horrorfilm zu Ende sehen vermag, konnte ich seltsamerweise schon immer solche Videos betrachten, ohne dass mir übel wird, ich schlecht schlafe oder dergleichen. Darüber bin ich erstmal ganz froh, schon aus beruflichen Gründen. Wenn man sich mit dem IS beschäftigt, wird man aber ständig mit Horrormeldungen bzw. den entsprechenden Bildern konfrontiert. Ich beginne mir, Gedanken zu machen, was das auf Dauer mit mir anstellt. Stumpfe ich ab? Verliere ich das Interesse an Dingen, die keine Greueltaten beinhalten? Beginnt die vom IS bewusst inszenierte Gewalt, sogar Faszination auf mich auszuüben?

6. Juli 2016

Der neue 30-jährige Krieg

Das Grauen nimmt kein Ende. Anders kann man die letzten Tage im Zusammenhang mit dem IS nicht resümieren. Während das IS-Kommando in Bangladesh eine regelrechte Selektion vorgenommen hat und Muslime freigelassen hat, um nur die verhassten Ausländer abzuschlachten (nur so lässt sich beschreiben, was auf den Bildern zu sehen ist), sind bei dem katastrophalen Anschlag in Bagdad unterschiedslos über 250 Menschen getötet worden, die sich auf die Festlichkeiten zum Ende des Ramadan vorbereiteten, vor allem Schiiten, aber auch Sunniten, wer in diesem Stadtviertel bzw. dem Einkaufszentrum, in dem es die meisten Toten gegeben hat, halt gerade da war. Es spricht für sich, wenn selbst Al Qaida wie auch die Taliban öffentliche Kritik am IS üben, weil dieser so gerne und häufig (sunnitische) Muslime tötet. Noch besser wäre es, wenn sie auch gegen die Ermordung von Menschen aus anderen Gruppen wären.

Bemerkenswert ist, wie problemlos der IS jederzeit Anschläge in Bagdad verüben kann. Hier stimmt offensichtlich etwas mit den Sicherheitsvorkehrungen nicht.

2. Juli 2016

Krieg gegen alle: die Maßlosigkeit des Islamischen Staates

Der IS hat in den letzten Tagen und Wochen wirklich von sich reden gemacht. Neueste Beispiele sind der Anschlag in der Türkei, gestern dann die Geiselnahme und Ermordung von 20 Menschen in Bangladesh. Die IS Nachrichtenagentur Amaq hat noch vor der Erstürmung des Restaurants durch Sicherheitskräfte bereits Bilder von dem Blutbad gepostet. Und auch wenn der IS aus irgendwelchen Gründen bisher konsequent darauf verzichtet, sich zu Anschlägen in der Türkei zu bekennen, ist auf Grund des Modus Operandi sowie der Herkunft der Täter eindeutig, dass es sich auch hier um einen Anschlag des IS gehandelt hat.

1. Juli 2016

Die "Blockwart-App"

In Berlin gibt es jetzt eine App des Ordnungsamtes, mit der man Ordnungswidrigkeiten von Nacktjoggen (ich wußte nicht, dass das  ein Problem ist; ich habe in meinem Leben noch keinen Nacktjogger gesehen) bis Falschparker melden kann. Zeitungen und Leserbriefe sprechen, wie nicht anders zu erwarten, von der „Petz-App“ und der Aufforderung zu Denunziantentum. Es werden Vergleiche zur DDR gezogen.
Hmm, okay. Ganz so einfach finde ich es nicht. Ein Beispiel, wie zigtausende in Berlin bin ich viel mit dem Fahrrad unterwegs. Ideal für alle ist es, wenn auf der Straße eine Spur für Fahrräder vorgesehen ist, Fahrradfahrer sind gut sichtbar, werden aber vom Autoverkehr getrennt. Schön wär’s. Viele Autofahrer nutzen diese Fahrradstreifen gerne als praktische Parkmöglichkeit. Ergebnis, Fahrradfahrer müssen in den fließenden Verkehr ausweichen, was oft ziemlich gefährlich ist, oder einfach komplett stoppen.