9. Juli 2016

Das Gift des Bösen

Der IS hat ein neues englischsprachiges Video veröffentlicht, in dem es ihm vor allem darum geht, seine Struktur zu erläutern. Das viertelstündige Video folgt in Bildern und Tönen ganz der inzwischen bekannten IS-Ästhetik: gekonnte computergenerierte technische Effekte, professionelle Kameraführung, religiöse A-cappella-Gesänge (sog. Naschids), Bilder der glücklichen Kinder und Untertanen im Kalifat, viel Krieg und Militär und in den letzten drei Minuten ziemlich drastische Aufnahmen von Enthauptungen, einmal mit Schwert, ansonsten – sehr viel schlimmer – mit Messern, von verstümmelten Leichen sowie von Exekutionen im Stil der SS-Einsatzgruppen (knieende Gefangene, Kopfschuss von hinten).

Während ich keinen Horrorfilm zu Ende sehen vermag, konnte ich seltsamerweise schon immer solche Videos betrachten, ohne dass mir übel wird, ich schlecht schlafe oder dergleichen. Darüber bin ich erstmal ganz froh, schon aus beruflichen Gründen. Wenn man sich mit dem IS beschäftigt, wird man aber ständig mit Horrormeldungen bzw. den entsprechenden Bildern konfrontiert. Ich beginne mir, Gedanken zu machen, was das auf Dauer mit mir anstellt. Stumpfe ich ab? Verliere ich das Interesse an Dingen, die keine Greueltaten beinhalten? Beginnt die vom IS bewusst inszenierte Gewalt, sogar Faszination auf mich auszuüben?


Kein abgeschnittener Kopf, aber schockierend genug. Mosul 2014. Das Kind gehört der christlichen Minderheit an. Es soll danach erschossen worden sein, das kann ich aber nicht beschwören. Das Bild ist aus einem IS-Video
Faszination scheint mir das falsche Wort, zu positiv. Richtig ist allerdings, irgendetwas in mir treibt mich immer wieder, dem – ich muss das auch als ganz unreligiöser Mensch so formulieren – abgrundtief Bösen ins Auge zu sehen, zu erkennen, was es auf dieser Welt gibt, wozu Menschen fähig sind und woran sie ganz offensichtlich sogar Gefallen finden können. Ich kann nicht sagen, woher dieser Drang kommt, möglicherweise ist am Ende hier doch eine dunkle Seite von mir am Werk. Ein wenig Misstrauen gegenüber sich selbst ist wahrscheinlich gut.

Zumal man im Kopf behalten muss, dass diese IS-Videos Propagandainstrumente sind, sie präsentieren den IS sozusagen von seiner besten Seite und sollen gar nicht so sehr Terror bei den Ungläubigen (die sich diese Dinger sowieso kaum ansehen) auslösen, sondern vor allem neue Anhänger gewinnen. Die Gewalt dort, so extrem sie ist, ist also durch und durch positiv konnotiert, man ist stolz darauf, man zeigt sie nicht nur her, man wirbt sogar ausdrücklich mit ihr, und zwar ziemlich erfolgreich. Diese Bilder müssen also irgendwie suggestiv sein, sie sprechen etwas an, auf viele wirkt diese inszenierte Gewalt nicht abstoßend, sondern verführerisch, auch auf ganz normale Menschen. Man sollte deshalb nie vergessen, dass diese Botschaften auch eine Kraft entfalten können. Bisher bilde ich mir allerdings ein, dass ich erfreulich resilient bin, bestimmte Grundüberzeugungen, die ich habe, sind zu stark.

Ein gewisses Maß an Gewöhnung ist aber trotzdem kaum zu vermeiden. Und statt Gewöhnung könnte man auch Abstumpfung sagen. Meine Sorge ist, dass sich dies auf Dauer als problematisch erweist, dass die Gewöhnung an die Bilder zu einer Gewöhnung an die Taten und schließlich zumindest zu einer achselzuckenden Indifferenz gegenüber der Barbarei führen kann. Will man ein Mensch sein, dem es nichts ausmacht, wenn Leuten mit einem Messer der Kopf abgetrennt oder wenn sie in einen Käfig gesperrt und lebendig verbrannt werden? Ist auf diesem Weg am Ende doch die Gefahr da, dass man diese Gewaltpornographie irgendwann klammheimlich geil findet und anfängt, eine konsumierende Einstellung zu ihr zu entwickeln?

Vielleicht bin ich übertrieben empfindlich. Ich befürchte aber, dass diese Bilder und Filme, selbst die Litanei bloßer Meldungen über die neueste Schreckenstat (ich verzichte jetzt auf weitere Beispiele) eine Art Gift enthalten, das auf Dauer die Kraft hat, Menschen ungut zu verändern. Wenn das stimmt, sollte man sich schützen. Andererseits will ich mein Projekt, "das Böse" zu erkennen und zu verstehen, auch nicht aufgeben. Ich werde mich also weiter mit dem IS bzw. anderen Erscheinungsformen der Inhumanität wie Kriegen oder Genoziden beschäftigen.

Einzige Lösung scheint mir, die Exposition zu dosieren. Abstumpfung ist vielleicht nicht ganz zu verhindern, aber sie kann klein gehalten werden. Man muss auch nicht alles sehen, die Bilder sind im Grunde meist generisch. Andererseits sagen manche Bilder dann doch mehr als noch so viele Worte, siehe das Foto oben. Eine bloße Beschreibung der Situation konfrontiert einen einfach nicht in derselben Weise mit der Brutalität und Perversion dessen, was sich da gerade abspielt. Und es scheint mir wie gesagt wichtig, sich dem zu stellen. Habe für mich daher beschlossen, dass ich nur noch an ein oder zwei Tagen in der Woche bereit bin, derartige Bilder aufzunehmen. Alle 7-8 Wochen gibt es zusätzlich außerdem eine etwas längere Pause, in der ich mich mit anderen Dingen beschäftige. So werde ich die das Böse in meinem eigenen Leben zumindest stark einhegen und hoffentlich verhindern, dass die Beschäftigung mit dem IS nach und nach zu einer Art Voyeurismus verkommt. 

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