6. Juli 2016

Der neue 30-jährige Krieg

Das Grauen nimmt kein Ende. Anders kann man die letzten Tage im Zusammenhang mit dem IS nicht resümieren. Während das IS-Kommando in Bangladesh eine regelrechte Selektion vorgenommen hat und Muslime freigelassen hat, um nur die verhassten Ausländer abzuschlachten (nur so lässt sich beschreiben, was auf den Bildern zu sehen ist), sind bei dem katastrophalen Anschlag in Bagdad unterschiedslos über 250 Menschen getötet worden, die sich auf die Festlichkeiten zum Ende des Ramadan vorbereiteten, vor allem Schiiten, aber auch Sunniten, wer in diesem Stadtviertel bzw. dem Einkaufszentrum, in dem es die meisten Toten gegeben hat, halt gerade da war. Es spricht für sich, wenn selbst Al Qaida wie auch die Taliban öffentliche Kritik am IS üben, weil dieser so gerne und häufig (sunnitische) Muslime tötet. Noch besser wäre es, wenn sie auch gegen die Ermordung von Menschen aus anderen Gruppen wären.

Bemerkenswert ist, wie problemlos der IS jederzeit Anschläge in Bagdad verüben kann. Hier stimmt offensichtlich etwas mit den Sicherheitsvorkehrungen nicht.
Ein Beispiel: PM Abadi hat nach dem Anschlag den Einsatz von Sprengstoffdetektor-Attrappen verboten. Attrappen, richtig. Die Dinger können buchstäblich nichts. Schlimmer noch, es ist allgemein bekannt, dass die Sicherheitskräfte an den Checkpoints zumeist nur Attrappen einsetzen, die abschreckende Wirkung geht also gegen Null. Wie man liest, werden die falschen Detektoren auch trotz Abbadis Verbot weiter verwendet. Ein anderes Beispiel: die irakischen Sicherheitskräfte hatten angeblich einen konkreten Hinweis auf den Anschlagsort. Die Strasse wurde abgesperrt. Kurz vor Mitternacht wurde diese Sperrung für eine Viertelstunde aufgehoben, dann wieder eingerichtet. Einige Dutzend Fahrzeuge kamen in dieser Zeit in die eigentlich abgesicherte Zone, darunter der Kleinlaster mit dem Sprengstoff. Zur Erklärung braucht man keine Verschwörungstheorien, dahinter stecken einfach Inkompetenz, Desinteresse und Korruption. Dem IS wird es sehr leicht gemacht.

Von Irakern auf Twitter verbreitet: Fotos von Opfern des Anschlags in Bagdad.

Eine ganz andere Meldung, aber aus derselben Region: IS-Kämpfer bieten auf WhatsApp und anderen Messengerdiensten junge Mädchen zum Verkauf an. Ein neueres Angebot betrifft z.B. ein 12jähriges Mädchen, noch Jungfrau, für 12.500 $. Bei den Sklavinnen des IS handelt es sich um Yesidinnen, die im Sommer 2014 vom IS verschleppt wurden. Yesiden sind nach Ansicht des IS auf Grund ihrer Religion Untermenschen, noch niedriger als die Kreuzfahrer, mit denen man daher alles machen darf. Nach UN-Schätzungen sollen noch ungefähr 3.000 Mädchen und junge Frauen im Besitz des IS sein, die dort vor allem als Sex-Sklavinnen im Gebrauch sind. Inzwischen ist ein reger Handel mit ihnen entstanden. So sieht sie aus, die Utopie des Kalifats.

Verbrechen werden aber nicht nur vom IS verübt. Eine schiitische Miliz hat im Zuge der Rückeroberung von Fallujah mehrere hundert Männer und Halbwüchsige der sunnitischen Bevölkerung verschleppt. Bereits gleich nach Vertreibung des IS ist es zu schweren Misshandlungen, Folter und Morden an sunnitischen Zivilisten gekommen. Die schiitischen Milizen sehen da keine großen Unterschiede zum IS selbst. Scheinbar wurde im Zusammenhang mit der Verschleppung angekündigt, dass jetzt Rache für ein vor zwei Jahren vom IS verübtes Massaker an bis zu 1.700 Kadetten der irakischen Luftwaffe in Tikrit genommen werden solle. Im Moment läßt sich der Verdacht nicht ausräumen, dass nunmehr umgekehrt ca. 900 Männer und Jungen durch diese schiitische Miliz umgebracht wurden.

Das alles sind Spätfolgen des Einmarsches der USA im Irak und ihrer anschließenden verfehlten Besatzungspolitik. Hinterher ist man immer klüger, und nicht alles, was seitdem schief gegangen ist, kann einfach den USA angelastet werden, richtig ist aber, dass mit dem Einmarsch ein sehr böser Geist aus der Flasche gelassen wurde. Seitdem ergibt sich eines aus dem anderen. Ein Ende der Gewalt ist noch auf sehr lange Zeit nicht abzusehen. Die grundlegenden Bedingungen, die den Konflikt speisen, bleiben unverändert. Irak und Syrien könnten so etwas wie den 30-jährigen Krieg erleben, ein völlig verknoteter Konflikt, religiös unterlegt, in dem es aber auch um Machtpolitik geht, und in dem vor allem die Zivilbevölkerung sehr viel Leid erfährt.

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