26. Juli 2016

Die offene Gesellschaft und ihre Feinde - die BürgerInnen selbst

Vor einem Jahr hieß es, Donald Trump habe keine Chance, weder bei den Vorwahlen der Republikaner, und schon gar nicht in der eigentlichen Präsidentschaftswahl. Nach dem letzten Metapoll (Durchschnitt der 8 wichtigsten Umfragen zu den US-Präsidentschaftswahlen) hat Trump die Führung übernommen, sehr knapp, aber – und das ist möglicherweise bedeutsamer – der Trend geht in seine Richtung. Clintons Umfragewerte, vor allem in puncto Vertrauenswürdigkeit, Sympathie usw., sind im Grunde desaströs, sie hat seit März kontinuierlich an Zustimmung verloren.

Erinnern wir uns an Brexit-Abstimmung. Klar war, dass es knapp werden würde. Und doch haben die allermeisten, von den Wettbüros bis zu den Brexit-Befürwortern Farage und Johnson, geglaubt, dass Großbritannien für den Verbleib in der EU stimmen würde. Am nächsten Morgen dann der Schock.
Vor einigen Jahren machte das Schlagwort der Post-Demokratie die Runde. Heute ist quasi als Ergänzung immer wieder von „post-factual-politics“ die Rede. Damit ist zunächst gemeint, dass Politiker in vielen Fällen die Tatsachen verdrehen oder sogar lügen, siehe Putin (sehr schön: russische Soldaten in der Ukraine seien im Urlaub), siehe Trump (hier gibt es inzwischen eine eigene Webseite, die seine Lügen dokumentiert) und siehe Brexit (EU-Austritt mache 350 Mio Pfund pro Woche für das Gesundheitswesen frei). Und sie tun das nicht einmal besonders geschickt. Es ist, als ob sie sich gar nicht mehr besonders dafür interessierten, so gut zu lügen, dass es niemand merkt. Wozu auch, sie haben schließlich auch so Erfolg. Auch die Tweets einiger AfD-Politiker sind ein Beispiel hierfür, alles wird so gebogen, dass es irgendwie gegen Ausländer, Einwanderung und Merkel geht, selbst wenn die Logik hanebüchen oder sogar grotesk ist. Stellt sich später heraus, dass eine Gewalttat gar nichts mit Migration oder Islam zu tun hatte, wird auch nichts revidiert, im Gegenteil, es wird stramm weiter behauptet. All das macht aber nichts, bei vielen kommen sie damit problemlos durch, denn Logik, gedankliche Konsistenz und Faktenkenntnis in einer komplexen Welt sind mühselig, nicht besonders sexy und interessieren im Grunde sowieso nicht mehr. Politiker, die das erkennen, nutzen die hierdurch entstehenden Möglichkeiten.
https://i.ytimg.com/vi/CFar4ZInFdk/hqdefault.jpg
Die Attraktion liegt genau in dieser Haltung (Quelle YouTube)
Das Problem sind also weniger die Politiker, denn die sind nur das Symptom der Krise, ein Angebot, das auf Grund einer entsprechenden Nachfrage bereitgestellt wird. Das Problem sind die Bürger/innen selbst, die keine Lust mehr auf rationalen Diskurs, auf schwierige Debatten zu komplexen Fragen, auf das Zuhören und Eingehen auf andere Sichtweisen und am Ende auf Rücksichtnahme und Mäßigung haben. Ein größerer Teil der Bevölkerung in den westlichen Ländern ist gut dabei, sich von den Werten der Aufklärung (Rationalität, freier Diskurs) und der aus ihr entstandenen Demokratie (einer Staatsform, in der die Mehrheit zwar den politischen Kurs bestimmt, der aber Verfahren und Rechte zugrundeliegen, über die auch die Mehrheit nicht verfügen kann) zu verabschieden. Gerade die Brutalität und Rücksichtslosigkeit von „America first“ oder vom Wunsch, die Grenzen einfach mit Stacheldraht zu schließen und die Flüchtlinge wörtlich davor stehen zu lassen, machen die Attraktivität von Trump und Co. aus. Dieser Teil der Bevölkerung verachtet die mühseligen Verfahren in Demokratie, Rechtsstaat bzw. EU und sie sind auch schlicht nicht mehr bereit, Grundrechte wie Asyl, Religionsfreiheit, Pressefreiheit usw. anzuerkennen, wenn damit Leute und Inhalte geschützt werden, die sie selbst ablehnen. Rücksichtsloser nationaler Egoismus, Aggression gegen Minderheiten und Andersdenkende sowie der Wunsch nach dem starken Mann, der endlich mit der ganzen Einbeziehungs- und Konsenskacke aufräumt, schwingen nicht nur irgendwie mit oder werden von wenigen Radikalen befördert, nein, ich glaube, es sind die Inhalte, nach denen viele eine tiefe Sehnsucht haben und die – siehe den Parteitag der Republikaner mit den auf den politischen Gegner gerichteten Sprechchören von „lock her up“ - gewollt und bejubelt werden.
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/61/Police_car_at_Hungary-Serbia_border_barrier.jpg
Und in diesen Maßnahmen: Grenzzaun in Ungarn (Quelle Wikimedia)
Vielleicht geht der Spuk irgendwann vorüber und wir kommen mit dem Schrecken davon. Ganz so pessimistisch wie der New-York-Times-Kolumnist Roger Cohen, der das Ende der Post-45-Ordnung im Westen kommen sieht, bin ich noch nicht. Ich bin mir aber auch nicht mehr sicher. Wenn es schlecht läuft, gewinnt als nächstes die FPÖ die Bundespräsidentenwahl in Österreich, dann Trump in den USA. Die EU erweist sich in diversen Fragen als schlichtweg nicht mehr handlungsfähig und bricht langsam auseinander, insbesondere dann wenn ein oder zwei weitere Länder austreten. Russland dehnt seinen Einfluss auf die baltischen Staaten aus, weil niemand bereit wäre, diese im Ernstfall zu verteidigen. Der autoritäre Politikstil setzt sich in weiteren Ländern Europas durch und führt zu einer Erosion von Demokratie und Rechtsstaat. Ausgemacht ist das wiegesagt alles noch nicht, aber doch gut möglich. Denn die Zeiten ändern sich, die Bürger/innen selbst wollen es so.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen