Erinnern wir uns an Brexit-Abstimmung. Klar war, dass es knapp werden
würde. Und doch haben die allermeisten, von den Wettbüros bis zu den Brexit-Befürwortern Farage
und Johnson, geglaubt, dass Großbritannien für den Verbleib in der EU stimmen
würde. Am nächsten Morgen dann der Schock.
Vor einigen Jahren machte das Schlagwort der Post-Demokratie
die Runde. Heute ist quasi als Ergänzung immer wieder von „post-factual-politics“ die Rede. Damit
ist zunächst gemeint, dass Politiker in vielen Fällen die Tatsachen verdrehen oder
sogar lügen, siehe Putin (sehr schön: russische Soldaten in der Ukraine seien im Urlaub), siehe Trump (hier gibt es inzwischen eine eigene Webseite, die seine Lügen dokumentiert) und siehe Brexit (EU-Austritt mache 350 Mio Pfund pro Woche für das Gesundheitswesen frei). Und sie tun das nicht
einmal besonders geschickt. Es ist, als ob sie sich gar nicht mehr besonders
dafür interessierten, so gut zu lügen, dass es niemand merkt. Wozu auch, sie haben schließlich
auch so Erfolg. Auch die Tweets einiger AfD-Politiker sind ein Beispiel
hierfür, alles wird so gebogen, dass es irgendwie gegen Ausländer, Einwanderung und Merkel geht, selbst wenn die Logik hanebüchen oder sogar grotesk ist. Stellt sich später heraus, dass eine Gewalttat gar nichts mit Migration oder Islam zu tun hatte, wird auch nichts revidiert, im Gegenteil, es wird stramm weiter behauptet. All das
macht aber nichts, bei vielen kommen sie damit problemlos durch, denn Logik, gedankliche Konsistenz und Faktenkenntnis in
einer komplexen Welt sind mühselig, nicht besonders sexy und interessieren im
Grunde sowieso nicht mehr. Politiker, die das erkennen, nutzen die hierdurch entstehenden Möglichkeiten.
Die Attraktion liegt genau in dieser Haltung (Quelle YouTube) |
Das Problem sind also weniger die Politiker, denn die sind nur das
Symptom der Krise, ein Angebot, das auf Grund einer entsprechenden Nachfrage bereitgestellt
wird. Das Problem sind die Bürger/innen selbst, die keine Lust mehr auf
rationalen Diskurs, auf schwierige Debatten zu komplexen Fragen, auf das
Zuhören und Eingehen auf andere Sichtweisen und am Ende auf Rücksichtnahme und
Mäßigung haben. Ein größerer Teil der Bevölkerung in den westlichen Ländern ist
gut dabei, sich von den Werten der Aufklärung (Rationalität, freier Diskurs) und der
aus ihr entstandenen Demokratie (einer Staatsform, in der die Mehrheit zwar den politischen Kurs bestimmt, der aber Verfahren und Rechte zugrundeliegen, über die auch die Mehrheit nicht verfügen kann) zu verabschieden. Gerade die Brutalität und Rücksichtslosigkeit von
„America first“ oder vom Wunsch, die Grenzen einfach mit Stacheldraht zu schließen und
die Flüchtlinge wörtlich davor stehen zu lassen, machen die
Attraktivität von Trump und Co. aus. Dieser Teil der Bevölkerung verachtet die
mühseligen Verfahren in Demokratie, Rechtsstaat bzw. EU und sie sind auch schlicht
nicht mehr bereit, Grundrechte wie Asyl, Religionsfreiheit, Pressefreiheit usw.
anzuerkennen, wenn damit Leute und Inhalte geschützt werden, die sie selbst ablehnen.
Rücksichtsloser nationaler Egoismus, Aggression gegen Minderheiten und Andersdenkende sowie der Wunsch nach dem starken Mann, der endlich mit der ganzen Einbeziehungs- und Konsenskacke aufräumt, schwingen
nicht nur irgendwie mit oder werden von wenigen Radikalen befördert, nein, ich
glaube, es sind die Inhalte, nach denen viele eine tiefe Sehnsucht haben und die
– siehe den Parteitag der Republikaner mit den auf den politischen Gegner gerichteten
Sprechchören von „lock her up“ - gewollt und bejubelt werden.
Und in diesen Maßnahmen: Grenzzaun in Ungarn (Quelle Wikimedia) |
Vielleicht geht der Spuk irgendwann vorüber und wir kommen mit dem
Schrecken davon. Ganz so pessimistisch wie der New-York-Times-Kolumnist Roger
Cohen, der das Ende der Post-45-Ordnung im Westen kommen sieht, bin ich noch
nicht. Ich bin mir aber auch nicht mehr sicher. Wenn es schlecht läuft, gewinnt
als nächstes die FPÖ die Bundespräsidentenwahl in Österreich, dann Trump in den
USA. Die EU erweist sich in diversen Fragen als schlichtweg nicht mehr
handlungsfähig und bricht langsam auseinander, insbesondere dann wenn ein oder zwei weitere
Länder austreten. Russland dehnt seinen Einfluss auf die baltischen Staaten
aus, weil niemand bereit wäre, diese im Ernstfall zu verteidigen. Der
autoritäre Politikstil setzt sich in weiteren Ländern Europas durch und führt
zu einer Erosion von Demokratie und Rechtsstaat. Ausgemacht ist das wiegesagt alles noch nicht, aber doch gut möglich. Denn die Zeiten ändern sich, die Bürger/innen selbst wollen es so.
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