2. März 2016

Mein Jahr mit David Hume. Teil 1: Ich habe keine Ahnung

Thomas Hobbes war in den letzten Jahren mein bevorzugter Philosoph. Genug! Spring is coming, und mir steht der Sinn nach Freundlicherem als dem zwar kraftvollen, aber düsteren Weltbild voller Gewalt und Angst, das Hobbes ausbreitet. Gewalt ist bei ihm ja nicht nur das grundlegende Problem schlechthin – die Anarchie des Naturzustandes ist ein Zustand des Schreckens („nasty, brutish, and short“)  – , sie ist auch zugleich die Lösung, nämlich in der Einrichtung eines Souveräns, der kraft seiner monopolisierten Machtfülle, und am Ende bedeutet das ebenfalls Gewalt, das Destruktive des Menschen unterdrückt und so Gesellschaft ermöglicht. Ich greife jetzt zu David Hume und beginne mit der Treatise of Human Nature.
Nebenbei vielleicht auch einige der Essays von Hume, oder – zum vierten oder fünften Mal – eines meiner Lieblingsphilosophiebücher überhaupt, die Dialogues Concerning Natural Religion (Dialoge über natürliche Religion, die es übrigens in einer sehr guten Übersetzung für 5 Euro bei Reclam gibt). Wer Hume noch nicht kennt, ihn aber gleich von seiner besten Seite erleben möchte – urban, unterhaltsam und verdammt intelligent –, sollte mit diesem Buch anfangen, in dem Hume den bis heute populären Versuch (die ganze Kreationistenbewegung in den USA greift darauf zurück), Gott zu beweisen, indem man auf die angeblich offensichtlich geplante Ordnung des Universums hinweist, einer desaströsen Kritik unterzieht.

Schotte, Weltbürger, Philosoph: David Hume 1711-1776
Quelle: commons wikimedia.org

Dieser Lektürewechsel brachte mich zur Überlegung, ob es in der Philosophie nicht einfach nur um Argumente geht. Wie kann jenseits rationaler Erwägungen der persönliche Stil wichtig sein? Sind Philosophen, horribile dictu, am Ende etwa nur Schriftsteller?

Es gibt offensichtlich Philosophie, in der es wirklich nur um Argumente und Beweise geht. Und in der Tat, ohne eine rational nachvollziehbare Argumentation über irgendeine grundlegende Frage, kann es auch keine Philosophie sein, schon mal ein grundlegender Unterschied zur Belletristik. Früher (damals, als ich noch jung war…) war ich auch knallhart auf Rationalität fixiert. Inzwischen bin ich da etwas entspannter. Diese rein argumentationsorientierte Philosophie kann ziemlich steril werden. Ich glaube auch nicht mehr daran, dass ich persönlich so etwas wie Wahrheit erfassen werde. Egal, worum es geht, es gibt immer einfach zu viele plausible entgegengesetzte Argumente und Erwägungen, die außerdem auch noch von viel klügeren Leuten, als ich es bin, vertreten werden. Am Ende, ehrlich gesagt, habe ich schlichtweg keine Ahnung. Das bringt einen ganz natürlich zu einer Haltung der Skepsis, vielleicht auch ein Grund, weshalb ich ausgerechnet auf Hume zurückkomme, der genau diese Ambivalenz zwischen scharfem Nachdenken und Bewusstsein für pure Rätselhaftigkeit sehr sympathisch verkörpert. Ich bin ganz sicher nicht bereit, das kritische Denken über Bord zu werfen und mich einfach der blinden Irrationalität zu überlassen, z.B. indem ich die angebliche Existenz Gottes ohne jeden vernünftigen Grund einfach mal glaube. Erst recht gilt das für politische und gesellschaftliche Fragen. Kein Gehör den Leuten, die immer alles ganz genau wissen! Einschub: Es ist ja nicht nur so, dass ich keine Ahnung habe, ich habe auch allergrößte Zweifel, ob die meisten anderen so viel mehr wissen. Aber egal welchen philosophischen Ansatz ich gerade für richtig halte, es erscheint mir immer ziemlich wahrscheinlich, dass die Wahrheit woanders liegt.

Unter diesen Umständen will ich tatsächlich mehr von einem Philosophen als eine Kette logischer Formeln. Es muss auch so etwas wie Persönlichkeit enthalten sein, eine Art Perspektive auf das Leben insgesamt, etwas was bleibt, obwohl man dieses oder jenes Argument vielleicht nicht überzeugend findet. So wie ich sie inzwischen sehe, ist Philosophie also tatsächlich mehr als nur ein Argumente-hin-und-her-Wägen. Sie ist auch so etwas wie ein Versuch, mit unserem Leben insgesamt klarzukommen, es zu verstehen und die richtige Haltung dazu zu finden. Hier kann einem David Hume sehr viel mehr helfen als der heute übliche Artikel in einer renommierten Fachzeitschrift.

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