Es ist immer interessant, zur Kenntnis zu nehmen, was
sich die in Polen regierende PiS
einfallen lässt, um einer offenen Gesellschaft die Luft abzudrücken. Neues
Beispiel ist die Ankündigung eines Gesetzes „zum Schutze des guten Rufes
Polens“. Anlass scheint ein vor einigen Monaten erschienener Artikel des in
Princeton arbeitenden polnischen Historikers Gross zu sein, der darin eine
Verbindung zwischen dem Verhalten von Polen gegenüber Juden im und kurz nach
dem Zweiten Weltkrieg und der heutigen Verweigerung Polens in der
Flüchtlingskrise herstellt (hier der Link: http://www.welt.de/debatte/kommentare/article146355392/Die-Osteuropaeer-haben-kein-Schamgefuehl.html).
Das Gesetz, das noch nicht vorliegt, scheint vorzusehen, die Verwendung
bestimmter Begriffe wie „polnisches Konzentrationslager“ und andere mit Haft
bis zu 5 Jahren zu bestrafen. Das Vorhaben trifft auch in Polen selbst auf
heftige Kritik. Zusätzlich hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den
Historiker wegen öffentlicher Beleidigung der polnischen Nation aufgenommen (zu
dem ganzen Vorgang siehe diesen interessanten Artikel in der taz: http://www.taz.de/!5277246/).
Der Name des in Aussicht gestellten Gesetzes scheint dabei eine
eklatante Fehlbezeichnung zu sein, denn es geht ja nicht wirklich um den guten
Ruf Polens im Sinne des Ansehens, das Polen in der Welt genießt. Auf diesen Ruf
legt die PiS selbst keinen gesteigerten Wert, sie beschädigt ihn vielmehr gerne
nach Kräften selbst, nicht zuletzt mit Planungen für ein solches Gesetz. Worum
es der PiS bzw. der Regierung geht, ist nicht der gute Ruf, sondern ein ganz bestimmter
Ruf, besser gesagt, ein ganz bestimmtes Bild, das Polen nach innen und außen
projizieren soll. Um es kurz zu machen, vermute ich, dass dieses Bild ungefähr
darin besteht, dass Polen a) ein anständiges Land ist, b) konstitutionell
unfähig, böse Dinge zu tun, und c) sowieso immer Opfer, niemals Täter ist.
Mir geht es nicht inhaltlich um dieses Selbstbild. Interessant
finde ich vielmehr eine Metaebene, und zwar die Frage, warum es die Regierung
so stört, wenn andere eine abweichende Meinung vertreten. Niemand stellt ja das
Recht der PiS oder irgendwem sonst in Frage, die Dinge so zu sehen, wie sie sie
halt sehen und das entsprechend zu artikulieren. Warum ist es so wichtig, umgekehrt
andere daran zu hindern, einen konträren Standpunkt zu vertreten?
Ich sage es gleich: anders als meine Liebste, die sofort Morgenstern
anführte („weil nicht sein kann…), finde ich diese Frage wirklich schwer zu
beantworten, nicht, weil für mich eine offene, individualistisch basierte Gesellschaft selbstverständlich ist (das auch),
sondern weil ich den Eindruck habe, dass hier ein Bündel unterschiedlicher
Einstellungen und Motive zusammenkommen und ich Schwierigkeiten habe, diese
aufzulösen und einzuordnen, was wahrscheinlich daran liegt, dass mir die
zugrunde liegende Haltung fremd bis bizarr erscheint. Daher nur einige
Bemerkungen zur Annäherung an ein für mich rätselhaftes Thema.
Fangen wir mal mit dem Offensichtlichen an. Das Ansehen, das
die PiS meint, muss ihr sehr, sehr wichtig sein. Sie will, dass Polen, und zwar
nicht nur das Polen von heute, sondern auch das Polen einer ganz anderen
Generation, in einem ganz bestimmten Lichte erscheint. Hier findet eine
Identifikation mit einem überindividuellen und atemporalen Wesen, nämlich einem
Land statt (was die interessante metaphysische Frage aufwirft, inwieweit es
sowas überhaupt gibt, aber das lassen wir jetzt). Aus solcher Perspektive
spielt es dann natürlich eine Rolle, was Polen vor 30, 70 oder 400 Jahren getan
haben. Nationalismus wäre also wahrscheinlich einer der Aspekte, die hier
relevant sind.
Nun müsste es selbst für polnische Nationalisten denkbar
sein, dass auch die Polen nicht vollkommen fehlerfrei sind. Das würde z.B. Hr.
Gross behaupten und darüber könnte man dann ja diskutieren. Die PiS will aber
nichts diskutieren, sie will verbieten. Hier scheint es mir nun zwei
Möglichkeiten zu geben, warum aus ihrer Perspektive solche Verbote ausgesprochen
werden müssen. Erste Möglichkeit: die PiS ist ganz sicher, dass das, was von
ihrer Sicht abweicht, objektiv falsch ist. Das hat natürlich Folgen. Denn wenn
die PiS in guter katholischer Tradition einen Unfehlbarkeitsanspruch erhebt,
bleibt sehr wenig Platz für eine pluralistische Gesellschaft. Es mag zwar
faktisch Leute geben, die nicht so leben und denken, wie das die PiS für
richtig hält, als Sprachrohr der Wahrheit bzw. als Sachwalter der Nation fühlt
sich die PiS aber jederzeit berechtigt einzugreifen. Hier wäre womöglich eine
gewisse Hybris plus eine Dosis Intoleranz zu konstatieren.
Zweite Möglichkeit: es ist völlig unwichtig, ob Prof. Gross
recht hat oder nicht, es handelt sich auf jeden Fall um einen Nestbeschmutzer,
einfach deshalb, weil er schlecht über Polen redet. Die Perspektive scheint
hier die zu sein, dass Polen sich mit anderen Ländern prinzipiell in einer
antagonistischen Situation befindet und deshalb niemals eigene Fehler zugeben
darf, weil man sich damit selbst schwächt. Der polnische Staatspräsident hat z.B.
die Meinung vertreten, dass es Deutschland gelungen wäre, mit der Fernsehserie
„Unsere Mütter, unsere Väter“ eine propagandistisch äußerst geschickte Sicht
auf die eigene Geschichte zu produzieren, die die Nazis in einem sympathischen
Licht erscheinen lässt und auf diese Weise Einfluss auf die deutsche Mentalität
nimmt. Polen solle diesem Beispiel folgen. Aus dieser Perspektive eines
grundsätzlich von Konkurrenz oder Feindschaft geprägten Verhältnisses der
Nationen, in dem sich Kultur nicht frei entfaltet, sondern irgendwie gesteuert
wird, ist es nur konsequent, dass auch polnische Historiker sich nicht so sehr
als Wissenschaftler, sondern vor allem als geistige Krieger verstehen sollen.
Wenn die dann das Gegenteil tun, sind es – aus dieser Perspektive – natürlich
ebenfalls Feinde, sogar Verräter, die es zu bekämpfen gilt. Diese Einstellung
scheint mir in Richtung Paranoia zu gehen.
Möglicherweise kommen alle diese Elemente zusammen, plus
einige weitere. In der Summe weist all dies jedenfalls m.E. auf eine schwer
verzerrte Wirklichkeitswahrnehmung hin. Seltsam finde ich nach wie vor, wie
unberührt die polnische Regierung/die PiS von ihrem tatsächlichen Ruf zu sein
scheint. Da ist ja eher etwas wie aggressiver Trotz zu spüren. Die Kritik von
außen wird offenbar als erneuter Angriff wahrgenommen, gegen den man sich zur
Wehr setzen muss. So bestätigt sich das Weltbild immer wieder selbst.
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