26. Februar 2016

Versuch einer Annäherung an die Mentalität der polnischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS)



Es ist immer interessant, zur Kenntnis zu nehmen, was sich die in Polen regierende PiS  einfallen lässt, um einer offenen Gesellschaft die Luft abzudrücken. Neues Beispiel ist die Ankündigung eines Gesetzes „zum Schutze des guten Rufes Polens“. Anlass scheint ein vor einigen Monaten erschienener Artikel des in Princeton arbeitenden polnischen Historikers Gross zu sein, der darin eine Verbindung zwischen dem Verhalten von Polen gegenüber Juden im und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und der heutigen Verweigerung Polens in der Flüchtlingskrise herstellt (hier der Link: http://www.welt.de/debatte/kommentare/article146355392/Die-Osteuropaeer-haben-kein-Schamgefuehl.html).
Das Gesetz, das noch nicht vorliegt, scheint vorzusehen, die Verwendung bestimmter Begriffe wie „polnisches Konzentrationslager“ und andere mit Haft bis zu 5 Jahren zu bestrafen. Das Vorhaben trifft auch in Polen selbst auf heftige Kritik. Zusätzlich hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den Historiker wegen öffentlicher Beleidigung der polnischen Nation aufgenommen (zu dem ganzen Vorgang siehe diesen interessanten Artikel in der taz: http://www.taz.de/!5277246/).

Der Name des in Aussicht gestellten Gesetzes scheint dabei eine eklatante Fehlbezeichnung zu sein, denn es geht ja nicht wirklich um den guten Ruf Polens im Sinne des Ansehens, das Polen in der Welt genießt. Auf diesen Ruf legt die PiS selbst keinen gesteigerten Wert, sie beschädigt ihn vielmehr gerne nach Kräften selbst, nicht zuletzt mit Planungen für ein solches Gesetz. Worum es der PiS bzw. der Regierung geht, ist nicht der gute Ruf, sondern ein ganz bestimmter Ruf, besser gesagt, ein ganz bestimmtes Bild, das Polen nach innen und außen projizieren soll. Um es kurz zu machen, vermute ich, dass dieses Bild ungefähr darin besteht, dass Polen a) ein anständiges Land ist, b) konstitutionell unfähig, böse Dinge zu tun, und c) sowieso immer Opfer, niemals Täter ist.

Mir geht es nicht inhaltlich um dieses Selbstbild. Interessant finde ich vielmehr eine Metaebene, und zwar die Frage, warum es die Regierung so stört, wenn andere eine abweichende Meinung vertreten. Niemand stellt ja das Recht der PiS oder irgendwem sonst in Frage, die Dinge so zu sehen, wie sie sie halt sehen und das entsprechend zu artikulieren. Warum ist es so wichtig, umgekehrt andere daran zu hindern, einen konträren Standpunkt zu vertreten?

Ich sage es gleich: anders als meine Liebste, die sofort Morgenstern anführte („weil nicht sein kann…), finde ich diese Frage wirklich schwer zu beantworten, nicht, weil für mich eine offene, individualistisch basierte  Gesellschaft selbstverständlich ist (das auch), sondern weil ich den Eindruck habe, dass hier ein Bündel unterschiedlicher Einstellungen und Motive zusammenkommen und ich Schwierigkeiten habe, diese aufzulösen und einzuordnen, was wahrscheinlich daran liegt, dass mir die zugrunde liegende Haltung fremd bis bizarr erscheint. Daher nur einige Bemerkungen zur Annäherung an ein für mich rätselhaftes Thema.
Fangen wir mal mit dem Offensichtlichen an. Das Ansehen, das die PiS meint, muss ihr sehr, sehr wichtig sein. Sie will, dass Polen, und zwar nicht nur das Polen von heute, sondern auch das Polen einer ganz anderen Generation, in einem ganz bestimmten Lichte erscheint. Hier findet eine Identifikation mit einem überindividuellen und atemporalen Wesen, nämlich einem Land statt (was die interessante metaphysische Frage aufwirft, inwieweit es sowas überhaupt gibt, aber das lassen wir jetzt). Aus solcher Perspektive spielt es dann natürlich eine Rolle, was Polen vor 30, 70 oder 400 Jahren getan haben. Nationalismus wäre also wahrscheinlich einer der Aspekte, die hier relevant sind. 

Nun müsste es selbst für polnische Nationalisten denkbar sein, dass auch die Polen nicht vollkommen fehlerfrei sind. Das würde z.B. Hr. Gross behaupten und darüber könnte man dann ja diskutieren. Die PiS will aber nichts diskutieren, sie will verbieten. Hier scheint es mir nun zwei Möglichkeiten zu geben, warum aus ihrer Perspektive solche Verbote ausgesprochen werden müssen. Erste Möglichkeit: die PiS ist ganz sicher, dass das, was von ihrer Sicht abweicht, objektiv falsch ist. Das hat natürlich Folgen. Denn wenn die PiS in guter katholischer Tradition einen Unfehlbarkeitsanspruch erhebt, bleibt sehr wenig Platz für eine pluralistische Gesellschaft. Es mag zwar faktisch Leute geben, die nicht so leben und denken, wie das die PiS für richtig hält, als Sprachrohr der Wahrheit bzw. als Sachwalter der Nation fühlt sich die PiS aber jederzeit berechtigt einzugreifen. Hier wäre womöglich eine gewisse Hybris plus eine Dosis Intoleranz zu konstatieren. 

Zweite Möglichkeit: es ist völlig unwichtig, ob Prof. Gross recht hat oder nicht, es handelt sich auf jeden Fall um einen Nestbeschmutzer, einfach deshalb, weil er schlecht über Polen redet. Die Perspektive scheint hier die zu sein, dass Polen sich mit anderen Ländern prinzipiell in einer antagonistischen Situation befindet und deshalb niemals eigene Fehler zugeben darf, weil man sich damit selbst schwächt. Der polnische Staatspräsident hat z.B. die Meinung vertreten, dass es Deutschland gelungen wäre, mit der Fernsehserie „Unsere Mütter, unsere Väter“ eine propagandistisch äußerst geschickte Sicht auf die eigene Geschichte zu produzieren, die die Nazis in einem sympathischen Licht erscheinen lässt und auf diese Weise Einfluss auf die deutsche Mentalität nimmt. Polen solle diesem Beispiel folgen. Aus dieser Perspektive eines grundsätzlich von Konkurrenz oder Feindschaft geprägten Verhältnisses der Nationen, in dem sich Kultur nicht frei entfaltet, sondern irgendwie gesteuert wird, ist es nur konsequent, dass auch polnische Historiker sich nicht so sehr als Wissenschaftler, sondern vor allem als geistige Krieger verstehen sollen. Wenn die dann das Gegenteil tun, sind es – aus dieser Perspektive – natürlich ebenfalls Feinde, sogar Verräter, die es zu bekämpfen gilt. Diese Einstellung scheint mir in Richtung Paranoia zu gehen. 

Möglicherweise kommen alle diese Elemente zusammen, plus einige weitere. In der Summe weist all dies jedenfalls m.E. auf eine schwer verzerrte Wirklichkeitswahrnehmung hin. Seltsam finde ich nach wie vor, wie unberührt die polnische Regierung/die PiS von ihrem tatsächlichen Ruf zu sein scheint. Da ist ja eher etwas wie aggressiver Trotz zu spüren. Die Kritik von außen wird offenbar als erneuter Angriff wahrgenommen, gegen den man sich zur Wehr setzen muss. So bestätigt sich das Weltbild immer wieder selbst.

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