Konkret wird die Identitätspolitik der AfD lediglich an zwei
Punkten, nämlich mit Blick auf die deutsche Sprache und den Islam in
Deutschland. An beiden Beispielen lassen sich die allgemeineren Aspekte, die
ich im letzten Post angerissen habe, bzw. die gedankliche Armut der AfD gut illustrieren.
Das zentrale Element der deutschen Identität ist, laut AfD
die deutsche Sprache (Anmerkung 1: Das kann nach den ganzen Aussagen zu einer
genuin deutschen Leitkultur im Gegensatz zum Multikulturalismus nicht wirklich ernst
gemeint sein. Es würde bedeuten, dass die AfD zufrieden wäre, wenn wir
nur alle korrekt Deutsch sprächen.). Nach Ansicht der AfD bedeutet das, dass deutsche
Worte nicht durch englische Ausdrücke ersetzt werden sollten bzw. dass wir das
Deutsche nicht in Richtung einer geschlechterneutralen Sprache weiterentwickeln
sollten (Anmerkung 2: Die AfD verwendet hier lieber das Wort „gendern“,
möglicherweise ein Versuch, ironisch zu sein. Sicher bin ich mir aber nicht, Grundsatzprogramme sind üblicherweise nicht der Ort für Ironie.). Begründung hierfür
ist, dass dies ein Eingriff in die gewachsene Sprache wäre. Die AfD lehnt
hingegen alle politisch korrekten Sprachvorgaben ab (Anmerkung 3: Und möchte
nun ihrerseits bestimmte Entwicklungen verbieten oder zumindest verhindern,
weil sie nicht in ihr politisches Programm passen. Das ist politische
Korrektheit von rechts statt links.). Nun, niemand zwingt die AfD und ihre
Mitglieder, geschlechterneutrale Sprache oder englische Ausdrücke zu verwenden.
Wir haben keine Sprachbehörde, die den Sprachnutzern aus politischen Erwägungen
Vorgaben macht, welche Formulierungen erlaubt sind und welche nicht. Wenn
englische Ausdrücke ihren Weg ins Deutsche finden, wie schon tausende andere
Fremdworte zuvor, oder eine geschlechterneutrale Sprache sich allmählich
durchsetzt, hat das einfach mit Sprachpraxis zu tun, also einer allmählichen
ungesteuerten Entwicklung, die man auch als Wachsen beschreiben könnte. Da
dieses Wachsen aber in diesen Fällen nicht im Sinne der AfD ist, wird im Sinne
klassischen Identitätsdenkens eben kurzerhand erklärt, dass richtiges Deutsch
anders aussähe und es jetzt darum gehe, das eigentliche, wahre, echte Deutsch
vor dem realen Deutsch zu retten. Abgesehen davon könnte es sogar bestimmte gute
Gründe geben, von der bisherigen Sprachpraxis abzuweichen (ich kenne z.B.
keinen adäquaten originär deutschen Ersatz für das Verb „gendern“), alle
Veränderung mit der Begründung „Das haben wir ja noch nie gemacht“, pauschal abzulehnen,
worauf die AfD-Argumentation am Ende hinausläuft, ist jedenfalls unzureichend.
Ähnlich ist es mit dem Islam. Da wird markig erklärt, dass
der Islam, den die AfD übrigens grundsätzlich mit einem fundamentalistisch
verstandenen Islam und der Einführung der Sharia gleichzusetzen scheint, was an
der Wirklichkeit völlig vorbeigeht, nicht zu Deutschland gehöre. Nur, die Wirklichkeit ist längst anders. Ca. 4 Millionen Muslime leben in Deutschland,
das sind etwa 5% der Bevölkerung (2,6 Millionen aus dieser Gruppe sind
Sunniten). 55 Millionen gehören einer der beiden großen christlichen Kirchen an,
während 28 Millionen Menschen konfessionslos sind. Wenn – rein statistisch
gesehen – der Islam nicht zu Deutschland gehört, würden das Judentum (200.000
Angehörige) oder der Buddhismus (270.000) erst recht nicht dazu gehören, auch
wenn diese längst Teil unserer Kultur geworden sind (nicht der Kultur von jedem
Einzelnen, aber sie hinterlassen eben ihre Spuren). Die AfD will uns aber sagen, dass der Islam
nicht zum Wesen Deutschlands gehört. Und auch hier ist sie wieder, die
Vorstellung einer vermeintlichen nationalen Identität, die sich von den
tatsächlichen Verhältnissen gelöst hat und deren selbsternanntes Orakel die AfD
ist. Man kann das von mir aus doof finden, rein faktisch aber gehört der Islam
zu Deutschland, und zwar schon seit längerer Zeit. Daran wird sich auch nichts
mehr ändern, genauso wenig wie wir das Zeitalter des Briefeschreibens künstlich wiederbeleben könnten, weil uns die Email nicht gefällt.
Die Vorstellung, man könne das Leben gleichsam anhalten und alles müsse dann so
bleiben, wie es ist, ist kindisch. In der grundsätzlichen Denkfigur unterscheidet
sich das nicht von den Salafisten, die glauben, wir müssten das Rad der
Entwicklung zurück ins 7. Jahrhundert drehen, weil es nur damals gottgefällig zuging. Die AfD ist
auf Parteiebene mithin so was wie der Don Quichotte unserer Zeit. Eine tragikomische Figur, die gegen
Windmühlen kämpft, anstatt die Wirklichkeit anzunehmen.
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