6. Mai 2016

4 Millionen Muslime - natürlich gehört der Islam zu Deutschland (Kritik AfD-Parteiprogramm, Teil 3 und Ende)

Konkret wird die Identitätspolitik der AfD lediglich an zwei Punkten, nämlich mit Blick auf die deutsche Sprache und den Islam in Deutschland. An beiden Beispielen lassen sich die allgemeineren Aspekte, die ich im letzten Post angerissen habe, bzw. die gedankliche Armut der AfD gut illustrieren.

Das zentrale Element der deutschen Identität ist, laut AfD die deutsche Sprache (Anmerkung 1: Das kann nach den ganzen Aussagen zu einer genuin deutschen Leitkultur im Gegensatz zum Multikulturalismus nicht wirklich ernst gemeint sein. Es würde bedeuten, dass die AfD zufrieden wäre, wenn wir nur alle korrekt Deutsch sprächen.). Nach Ansicht der AfD bedeutet das, dass deutsche Worte nicht durch englische Ausdrücke ersetzt werden sollten bzw. dass wir das Deutsche nicht in Richtung einer geschlechterneutralen Sprache weiterentwickeln sollten (Anmerkung 2: Die AfD verwendet hier lieber das Wort „gendern“, möglicherweise ein Versuch, ironisch zu sein. Sicher bin ich mir aber nicht, Grundsatzprogramme sind üblicherweise nicht der Ort für Ironie.). Begründung hierfür ist, dass dies ein Eingriff in die gewachsene Sprache wäre. Die AfD lehnt hingegen alle politisch korrekten Sprachvorgaben ab (Anmerkung 3: Und möchte nun ihrerseits bestimmte Entwicklungen verbieten oder zumindest verhindern, weil sie nicht in ihr politisches Programm passen. Das ist politische Korrektheit von rechts statt links.). Nun, niemand zwingt die AfD und ihre Mitglieder, geschlechterneutrale Sprache oder englische Ausdrücke zu verwenden. Wir haben keine Sprachbehörde, die den Sprachnutzern aus politischen Erwägungen Vorgaben macht, welche Formulierungen erlaubt sind und welche nicht. Wenn englische Ausdrücke ihren Weg ins Deutsche finden, wie schon tausende andere Fremdworte zuvor, oder eine geschlechterneutrale Sprache sich allmählich durchsetzt, hat das einfach mit Sprachpraxis zu tun, also einer allmählichen ungesteuerten Entwicklung, die man auch als Wachsen beschreiben könnte. Da dieses Wachsen aber in diesen Fällen nicht im Sinne der AfD ist, wird im Sinne klassischen Identitätsdenkens eben kurzerhand erklärt, dass richtiges Deutsch anders aussähe und es jetzt darum gehe, das eigentliche, wahre, echte Deutsch vor dem realen Deutsch zu retten. Abgesehen davon könnte es sogar bestimmte gute Gründe geben, von der bisherigen Sprachpraxis abzuweichen (ich kenne z.B. keinen adäquaten originär deutschen Ersatz für das Verb „gendern“), alle Veränderung mit der Begründung „Das haben wir ja noch nie gemacht“, pauschal abzulehnen, worauf die AfD-Argumentation am Ende hinausläuft, ist jedenfalls unzureichend.

Ähnlich ist es mit dem Islam. Da wird markig erklärt, dass der Islam, den die AfD übrigens grundsätzlich mit einem fundamentalistisch verstandenen Islam und der Einführung der Sharia gleichzusetzen scheint, was an der Wirklichkeit völlig vorbeigeht, nicht zu Deutschland gehöre. Nur, die Wirklichkeit ist längst anders. Ca. 4 Millionen Muslime leben in Deutschland, das sind etwa 5% der Bevölkerung (2,6 Millionen aus dieser Gruppe sind Sunniten). 55 Millionen gehören einer der beiden großen christlichen Kirchen an, während 28 Millionen Menschen konfessionslos sind. Wenn – rein statistisch gesehen – der Islam nicht zu Deutschland gehört, würden das Judentum (200.000 Angehörige) oder der Buddhismus (270.000) erst recht nicht dazu gehören, auch wenn diese längst Teil unserer Kultur geworden sind (nicht der Kultur von jedem Einzelnen, aber sie hinterlassen eben ihre Spuren).  Die AfD will uns aber sagen, dass der Islam nicht zum Wesen Deutschlands gehört. Und auch hier ist sie wieder, die Vorstellung einer vermeintlichen nationalen Identität, die sich von den tatsächlichen Verhältnissen gelöst hat und deren selbsternanntes Orakel die AfD ist. Man kann das von mir aus doof finden, rein faktisch aber gehört der Islam zu Deutschland, und zwar schon seit längerer Zeit. Daran wird sich auch nichts mehr ändern, genauso wenig wie wir das Zeitalter des Briefeschreibens künstlich wiederbeleben könnten, weil uns die Email nicht gefällt. Die Vorstellung, man könne das Leben gleichsam anhalten und alles müsse dann so bleiben, wie es ist, ist kindisch. In der grundsätzlichen Denkfigur unterscheidet sich das nicht von den Salafisten, die glauben, wir müssten das Rad der Entwicklung zurück ins 7. Jahrhundert drehen, weil es nur damals gottgefällig zuging. Die AfD ist auf Parteiebene mithin so was wie der Don Quichotte unserer Zeit. Eine tragikomische Figur, die gegen Windmühlen kämpft, anstatt die Wirklichkeit anzunehmen.

Natürlich gibt es Probleme mit Migration, nur ein Idiot würde das leugnen. Die Integration hat in der Vergangenheit nicht immer gut geklappt. Es gibt kriminelle Clans, es gibt Parallelgesellschaften, es gibt Migranten, die in der FDGO nicht angekommen sind, es gibt salafistische Milieus am radikalen Rand und es gibt gewaltbereite Extremisten wiederum an deren radikalem Rand. Es gibt übrigens auch Hooligans und Rechtsextremisten, vor allem in den neuen Bundesländern, hat man manchmal den Eindruck. 19% der Ostdeutschen finden die Staatsform der Demokratie schlecht, laut einer Forsa-Umfrage. Das ist auch ein Problem. Wie wäre es also mit einer Parteigründung unter dem Namen „Ossis raus“? Kommt schlecht, oder? Und ist weder hilfreich noch realitätsnah.

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