4. Mai 2016

Der Unsinn von der deutschen Leitkultur (Programm AfD, Teil 2)

In ihrem Programm, insbes. in der Präambel sowie in Kapitel 7, vertritt die AfD ungefähr folgende Position: Deutschland hat so was wie „eine historisch kulturelle Identität“. Diese Identität soll zu unserer Leitkultur werden. Andere, importierte, Kulturen haben demgegenüber zurückzutreten.

Menschen mit „gesundem Patriotismus“ dürften sich von diesen Worten angesprochen fühlen. Für den aufmerksamen Leser erhebt sich allerdings sofort die spannende Frage: Angenommen es gibt so eine Identität, worin besteht diese? Worin besteht unsere historisch-kulturelle Identität? Ich weiß es nicht, aber - leider, leider -  die AfD scheint es auch nicht zu wissen. Ich habe außer dem Hinweis auf die Sprache (wann anders mehr) jedenfalls nur ganz wenige allgemeine Aussagen gefunden, die überhaupt nicht geeignet sind, Licht ins Dunkel zu bringen. So beruft sich die AfD auf „unsere abendländisch-christliche Kultur“, daneben aber auch auf „unser großes Kulturerbe und seine unverwechselbaren Eigenheiten“. Die abendländisch-christliche Kultur teilen wir mit allen Ländern des sogenannten Westens. Es ist eine Kultur, die neben positiven Dingen auch Hässliches enthält, wie z.B. Feudalismus oder religiösen Fanatismus, die aber heute im allgemeinen Verständnis für Dinge wie Demokratie, Menschenrechte, Freiheit, Aufklärung steht, also alles Dinge, die global und nicht national orientiert sind, was m.E. nur mäßig gut zum restlichen AfD-Programm und seiner unverkennbar nationalen Orientierung passt. Insofern die AfD aber diese Dinge unterstützen will, kann ich nur sagen: ich bin dabei. Mir fehlt allerdings der Glaube, dass es wirklich nur das ist, was sie meint.

deutsch
Matthias Grünewald, Quelle: Wikimedia Commons
Interessanter ist daher unser großes Kulturerbe und seine Eigenheiten, was ist damit gemeint? Diese Frage wird üblicherweise mit Namen beantwortet, z.B.: Goethe (bei Patrioten seit über hundert Jahren unangefochten auf Platz 1), Schiller, Beethoven, Kant usw. Deutsche Kultur hat sich aber nicht nur innerhalb von 30-40 Jahren abgespielt, wir müßten noch weitere Namen hinzunehmen, etwa Walter von der Vogelweide, Leibniz, Nietzsche, Karl Marx, Tucholsky, Leni Riefenstahl, Beuys, Stockhausen, Helmut Newton, James Last, Fatih Akin, Gerhard Richter usw. Worin besteht jetzt der gemeinsame Nenner, wo ist das unverwechselbare Deutsche bei all diesen und vielen weiteren Kulturgrößen der deutschen Geschichte? Abgesehen davon, dass es eben Deutsche waren - das war die Voraussetzung der Suche -, fällt mir nur auf, dass es sich vorwiegend um Männer handelt. Das wird die AfD aber nicht meinen. In der Sache, selbst unter Vertretern einer einzelnen Disziplin wie Film oder Philosophie, gibt es diesen gemeinsamen deutschen Nenner schlichtweg nicht. Unser großes Kulturerbe mit seinen angeblich unverwechselbaren Eigenheiten ist alles andere als eine homogene Kultur, sondern eine einzige Kakophonie, und das heißt, dass es zwar große Kulturleistungen gibt, aber keine spezifisch deutschen Kulturleistungen bzw. keine deutsche kulturelle Identität. Die Bilder in diesem Post sollen das illustrieren. Wie man aus einer nicht-existierenden Identität eine Leitkultur basteln will, wie die AfD es explizit fordert, ist eine Herausforderung.

Dorflandschaft bei Morgenbeleuchtung (Caspar David Friedrich)
superdeutsch
Caspar David Friedrich, Quelle: Wikimedia Commons
Die Vertreter einer angeblichen kulturellen Identität haben auf diese Argumentationsstrategie natürlich eine Antwort, die mal mehr, mal weniger aggressiv vertreten wird. Sie besteht darin, das Kriterium „Deutsch“ sozusagen auch als Kampfbegriff nach innen einzuführen. Selbst deutsche Schriftsteller, Künstler, Denker sind danach also nicht alle deutsch und schon gar nicht ihre Werke. Der Krach von Stockhausen kann nicht deutsch sein, die zersetzende Kritik von Tucholsky auch nicht, ebenso die leicht pornographischen Fotografien von Newton und schon gar nicht die politischen Ansichten von Horkheimer und Adorno. Wir müssen jetzt nicht gleich von entarteter Kunst und Bücherverbrennungen reden (das wäre die aggressivere Variante), aber auch die Einflußnahme auf Lehrpläne an Schulen im Sinne einer Leitkultur (mehr Goethe, weniger Grass, überhaupt keinen Gernhardt) tut genau das, nämlich Dinge zu sortieren, was deutsch sein darf und was nicht. Auf Basis welcher Kriterien das geschieht, und wie man überhaupt dazu kommt, sich zum Richter in Fragen der nationalen Kultur aufzuschwingen, wäre dann in der Tat die nächste Frage. 

entartet?
Fanz Marc; Quelle Wikipedia
Selbst wenn wir aber etwas fänden, das allen oder den allermeisten deutschen Kulturgütern gemeinsam wäre, die mysteriöse Eigenschaft x, wäre eine weitere zentrale Frage ebenfalls unbeantwortet, nämlich, warum x für uns in irgendeiner Weise Vorbildcharakter haben sollte. Machen wir ein Gedankenexperiment: Nehmen wir an, wir fänden eine solche Eigenschaft, es würde sich z.B. herausstellen, dass alle deutschen Künstler, Philosophen, Schriftsteller usw. gerne Milch getrunken haben/trinken und in ihren Werken entsprechende Hinweise untergebracht haben. Nach den Identitätsstiftern sollten wir also jetzt alle Milch trinken oder zumindest kann kein Künstler deutsch sein, der nicht gerne Milch trinkt, wir sollten vor allem die Werke von Milchtrinkern studieren usw. Das klingt nicht nur absurd, es ist tatsächlich völlig sinnfrei, was aber nicht am Beispiel liegt, sondern an der zugrundeliegenden Logik. Wer will, kann eine beliebige andere Eigenschaft für x einsetzen und sehen, wohin das führt. Der entscheidende Punkt ist, aus der bloßen Tatsache, dass etwas so und so war, kann nicht geschlossen werden, dass es so auch immer bleiben soll. Ansonsten würden wir heute noch auf Bäumen sitzen. 

was ist das denn?
Gerhard Richter, Quelle Wikipedia
Mit anderen Worten, der Begriff „deutsch“, so wie ihn die AfD verwendet, tut so, als handele es sich um die bloße Benennung einer Eigenschaft, die allem Deutschen gemeinsam ist. Tatsächlich ist es ein normativer Begriff ohne deskriptiven Gehalt, der die Welt einfach in erwünscht und unerwünscht sortiert und so tut, als habe das etwas mit unserem wahrsten, innersten Wesen zu tun. Worum es bei diesem Identitätsgerede aber tatsächlich geht, ist, mithilfe einer emotional aufgeladenen Begrifflichkeit ein ganz bestimmtes Bild durchzusetzen, wie unser Land zukünftig aussehen soll, und zwar a) völlig unabhängig davon, wie Deutschland wirklich war und ist, und - andere Seite der Medaille - b) damit auch gegen Deutsche selbst. Das ist politisch gefährlich, intellektuell aber barer Unsinn. 

Für heute reicht's. Zum Abschluss dieser kleinen Trilogie folgen in einigen Tagen noch ein paar Worte zur deutschen Sprache und zum Islam.

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