1. Mai 2016

Das Programm der AfD - eine Kritik; Teil 1

Wie angekündigt, habe ich mir den Entwurf für das Grundsatzprogramm der AfD näher angesehen, insbesondere entsprechend meiner politischen Interessen die Präambel und die Kapitel 1 (Demokratie und Grundwerte), 2 (Euro und Europa), 3 (Innere Sicherheit), 4 (Außen- und Sicherheitspolitik), 6 (Familien und Kinder), 7 (Sprache und Identität), 8 (Schule, Hochschule) und 9 (Einwanderung). Was mir am stärksten auffällt, ist dass die AfD von einer vor allem wirtschaftsliberalen und EU-kritischen Partei zu einer Identitätspartei geworden ist, d.h. dass sie die Frage, was Deutschland ist und bedeutet bzw. umgekehrt, was es nicht ist und bedeutet, in den Mittelpunkt stellt. Nicht nur widmet sie diesem Punkt ein eigenes Kapitel, sondern die entsprechenden Fragen tauchen auch an vielen anderen Stellen auf. Ich halte Identitätspolitik, sei es unter nationalen, religiösen (wie im politischen Islam) oder anderen (z.B. als Klassendenken) Vorzeichen für hochproblematisch, aber dazu mehr in einem späteren Post. Heute zum gelebten Demokratieverständnis der AfD.

Eine Bemerkung vorweg: Vieles in dem Programm ist aus meiner Sicht unkritisch, manchmal völlig richtig und auch, wo ich nicht zustimme, Teil eines normalen Meinungsspektrums innerhalb einer freien Gesellschaft. Gut finde ich z.B. die Einführung von Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild. Aus meiner Sicht falsch, aber natürlich völlig legitim, ist der Wunsch nach einem Europa souveräner Staaten, d.h. einer EU, die nur noch einen sehr losen Bund darstellt. Anders als die AfD bin ich auch klar für eine möglichst europäische Verteidigungspolitik, allein schon aus Kostengründen. Sehr bedenkenswert finde ich wiederum die Verschärfung der Bestimmungen zu Nebentätigkeiten von Politikern, die Begrenzung von Amtszeiten oder die verpflichtende Teilnahme am Sportunterricht für muslimische Schüler, auch wenn ich hierzu noch keine abschließende Meinung habe.


Jetzt zu dem ersten Punkt, der mich sehr unangenehm berührt. In der Weimarer Zeit wurden Politiker der Mitte von rechten und rechtsextremen Parteien gerne als Erfüllungspolitiker diffamiert, d.h. es wurde behauptet, dass sich diese Politiker ausländischen Interessen unterordnen und deutsche Interessen bewusst verraten würden. Zu einer ähnlichen Sicht neigt auch die AfD. Bereits das demonstrative Zitieren des Amtseides der Regierungsmitglieder in der Präambel im Anschluss an die Bemerkung, dass die AfD den Staat und seine Organe wieder (meine Hervorhebung) in den Dienst der Bürger stellen wolle, suggeriert, dass dies schon seit längerem nicht mehr der Fall ist. Ins selbe Horn bläst der Satz, dass die Bundesrepublik eine „orientierungslose Anpassungspolitik“ verfolge und andere Staaten und Institutionen so die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik bestimmten. Dass zu Politikern (anderer Parteien) ganz pauschal erklärt wird, es habe sich eine Klasse von Berufspolitikern herausgebildet, deren vordringliches Interesse „ihrer Macht, ihrem Status und ihrem materiellen Wohlergehen“ gelte, setzt einen anderen Akzent, spricht dem politischen Gegner aber ebenfalls jedes ehrliche Bemühen um eine Politik zum Wohle der Allgemeinheit ab. Dass der Staat „das Recht mit Füßen trete“ ist dann nur noch konsequent.

Diese Tonlage ist zutiefst antidemokratisch. Warum? Weil die AfD den politischen Gegner ihrerseits nicht mehr als Ausdruck eines breiten Spektrums legitimer politischer Meinungen sieht. Stattdessen wird character assassination betrieben, d.h. die Politik der Bundesregierung wird aus Motiven erklärt, die nichts mit dem Bemühen um die beste Politik zu tun haben, über die es einfach unterschiedliche Meinungen gibt, sondern stattdessen Ausdruck von materiellen Eigeninteressen oder fremder Steuerung sind. Damit bleibt in der Konsequenz nur noch Raum für die Politik der AfD selbst, alles andere wäre nach dieser Deutung Bereicherung oder Ausverkauf an fremde Interessen. 

Angesichts dieser ausgrenzenden Sprache sowie der tatsächlichen Verhältnisse wirkt es bizarr, dass ausgerechnet die AfD so tut, als gäbe es in diesem Land ein Problem mit der Meinungsfreiheit. So fordert sie z.B., dass Kritik am Islam erlaubt sein müsse. An anderer Stelle tritt sie für freie Rede für freie Bürger ein, wobei aus dem Zusammenhang deutlich wird, dass sie vor allem die freie Rede gegen die Einwanderungspolitik meint. Angesichts der Flut an islamkritischen Büchern und Artikeln (Sarrazin, Broder und Buschkowsky, um nur die prominentesten Autoren zu nennen) in den letzten Jahren bzw. den vielen Äußerungen der AfD selbst, einschließlich des vorliegenden Parteiprogramms, ist es völlig absurd zu behaupten, es gebe in Deutschland Sprechverbote was Islam und Einwanderung betrifft. Warum wird also immer wieder diese Behauptung aufgestellt? Ich glaube, die Erklärung ist einfach: diejenigen, die sich in dieser Richtung äußern, sind in Wahrheit diejenigen, die Probleme mit freier Meinungsäußerung haben, nämlich dann wenn sich diese gegen sie selbst richtet. Freie Rede für freie Bürger beinhaltet, anders als die AfD in dem betreffenden Passus suggeriert, auch das Recht, die Positionen der AfD zu kritisieren, und zwar auch in scharfer Form. Diese Kritik wird - ziemlich mimosenhaft - als Meinungsunterdrückung gewertet. Auch hier zeigt sich wieder, dass die AfD erhebliche Probleme hat, andere Positionen und Meinungen wirklich zuzulassen.

Ein letztes Beispiel: Derselbe Befund ergibt sich, wenn es um das geht, was die AfD Genderforschung nennt, also die Erforschung von Geschlechterrollen, Feminismus usw. Auf der einen Seite fordert die AfD freie Lehre und Wissenschaft, auf der anderen Seite macht sie aber unmissverständlich klar, dass das nicht für Genderforschung gelte. Hier seien alle entsprechenden Lehrstühle abzuschaffen. Was hat das mit freier Forschung zu tun?

Unterm Strich bleibt der Eindruck, dass die AfD bei allen Lippenbekenntnissen zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zumindest teilweise echte Probleme hat, Pluralismus und Meinungsvielfalt als unverzichtbare Bausteine einer freien Gesellschaft anzuerkennen.

Soviel heute. In einem späteren Post im Laufe der Woche werde ich mir noch die Identitätspolitik vornehmen. 

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