17. Januar 2016

Lektüre - David ANDRESS: The Terror. The Merciless War for Freedom in Revolutionary France, New York 2005


Andress behandelt die Entwicklung zum Terror etwa ab der tragikomischen Flucht der königlichen Familie nach Varennes, über die Gewaltexzesse im Laufe von 1792, die Einrichtung einer staatlichen Terrormaschinerie nach der Guillotinierung Ludwigs XVI. und den Höhepunkt in der Phase der faktischen Herrschaft des Wohlfahrtsausschusses bis hin zum schließlichen Sturz und Tod Robespierres und seiner Verbündeten im Sommer 1794.
Das Buch ist gut gegliedert, zeichnet ein lebendiges Bild des revolutionären Frankreichs und vermittelt bei aller Detailfülle gut die großen Entwicklungslinien. Andress nimmt eine Perspektive ein, die einerseits klar auf Seiten der Revolution steht und dabei das Chaos und den Druck der Umstände, unter denen die Akteure handeln mussten, sorgfältig beschreibt und analysiert, andererseits den Abscheu und sogar eine gewisse Trauer über die Verbrechen, die die Verantwortlichen zur Sicherung der Republik meinten begehen zu müssen, nicht verbirgt. Aus meiner Sicht eine klare Lektüreempfehlung zu einem dauerhaft faszinierenden Thema.

Ich habe bei der Lektüre – wieder einmal – besonders stark auf die Person von Robespierre reagiert. Robespierre spielte in der Entwicklung des Terrors bekanntlich eine zunehmend wichtige Rolle, war aber wirklich nicht der Einzige, der den Terror für zwingend notwendig hielt und vorangetrieben hat. Mir ist auch klar, dass meine Kenntnisse über Robespierre und die Zeit nicht ausreichen, um ihn wirklich fair zu beurteilen. Gleichwohl muss ich konstatieren, dass diese Figur in mir jedes Mal, wenn ich auf sie stoße, Hass und Verachtung auslöst. 

Warum? Es ist, glaube ich, die für ihn charakteristische Mischung aus Fanatismus und Selbstgerechtigkeit, die ihn mir so unerträglich macht. Robespierre scheint mit zunehmender Macht immer weniger fähig zu sein, geistig einen Schritt zurückzutreten und seine Rolle, seine Entschlüsse und Urteile als die eines Menschen unter anderen zu sehen. Im Gegenteil, es scheint, als sehe er sich zunehmend als eine Art Verkörperung der Revolution und des Vaterlandes. Es ist nicht nur, dass er Irrtum oder Zweifel nicht kennt, er ist auch der Ansicht, dass jeder andere die Dinge genauso sehen müsste. Wer anderer Meinung ist, ist daher eben nicht einfach nur anderer Meinung oder vertritt möglicherweise sogar eine valide Ansicht, nein, es ist ein Verräter, ein Agent der Gegenrevolution und verdient somit den Tod. Aus solcher Hybris wird der Dissens anderer tatsächlich zum Kapitalverbrechen. Mehr noch, alles, die gesamte Gesellschaft und das gesamte Leben des Einzelnen, haben sich der Revolution unterzuordnen, und was das bedeutet, das sagt uns Robespierre. Nicht nur Dissens, auch bloße Passivität ist nicht erlaubt. Dabei sind die Motive von Robespierre überhaupt nicht zynisch, ihm geht es nicht einfach nur um blanke Macht. Das wäre zwar auch eine Form des Verbrechertums, würde ihn aber etwas menschlicher machen. Nein, der Unbestechliche hat sich tatsächlich für nichts anderes als den Erfolg der Revolution interessiert und eingesetzt, der Typ war ein genuiner Idealist, ihm ging es um die Sache, nur, was die Sache war, war für ihn naturgemäß das, was er dachte.  

Soweit ich das zu erkennen vermag, scheint er niemals auf die Idee gekommen zu sein, dass gesellschaftliche Harmonie per Fallbeil nur oberflächlich und artifiziell sein kann. Wenn es keinen König und keine Aristokraten mehr gibt, wenn jeder Priester seinen Schwur auf die Republik geleistet hat, wenn alle fleißig jeden Abend in ihre politischen Versammlungen gehen und alle dort dieselben Meinungen vertreten, wenn sie zu den patriotischen Festen kommen und als große Familie gemeinsam patriotische Lieder singen, wenn jedes Anzeichen von Gegenrevolution, und sei es nur der Zweifel, dass es einen Gott gibt (für Robespierre waren Agnostizismus und Atheismus Ausdruck aristokratischer Verworfenheit), endlich ausgemerzt wurde, dann hat für Robespierre die Revolution gesiegt und alles ist gut. Robespierre will mit aller Macht die heile Fassade, er glaubt, dass die durch den Terror erzwungene äußere Konformität das Zeichen für tiefe Harmonie ist. Dabei scheint ihm jegliche Sensibilität dafür zu fehlen, dass es hinter der Fassade anders aussehen könnte, es sei denn natürlich, es handelt sich um verschlagene Agenten der alten Ordnung. Paranoia war eine seiner besonderen Stärken. Es ist nicht bloß, dass ihm das Bunte, Vielfältige des Menschseins unheimlich ist, ich glaube, ihm war nicht einmal so richtig klar, dass es so etwas überhaupt gibt. Enthusiastischer Revolutionär oder Vertreter der Gegenrevolution, tertium non datur. Seine Utopie, zu der es am Ende nicht mehr gekommen ist, ist in ihrem Charakter nicht nur spießig, sie ist autistisch, in ihren Ergebnissen aber totalitär.


Solche Typen gibt es zu natürlich allen Zeiten. Meistens bleiben sie ganz unauffällig. Manchmal aber kann man diese gefährliche Mischung aus geistiger Enge, aus Selbstgerechtigkeit und völligem Unverständnis gegenüber abweichenden Meinungen oder Lebensstilen bei anderen Personen spüren. Menschen, die vielleicht etwas rechthaberischer sind als andere, die dazu neigen, auch leise Kritik als persönlichen Angriff aufzunehmen oder die generell wenig Verständnis für das Natürliche des Pluralismus haben. Menschen, denen Skepsis, Offenheit und Großzügigkeit im Denken vollkommen fremd sind. Das sind die potenziellen Robespierres oder ihre Unterstützer. Es gibt sie in allen Lebensbereichen und auch auf allen Seiten des politischen Spektrums. Vor ihnen muss man sich hüten, im günstigsten Fall sind es nur unangenehme und vielleicht etwas dröge Zeitgenossen, in schlimmeren Fällen sind sie gefährlich. Vor allem, wenn sie Macht ausüben können.

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