Meldungen gab es schon letztes Jahr, nun hat der IS diese
bestätigt: Mohammed Emwazi, der Öffentlichkeit auch bekannt als Jihadi John,
ist im letzten Jahr in Raqqa/Syrien durch einen Drohnenangriff der USA getötet
worden. Emwazi war britischer Staatsbürger und war der Mann, der 2014 u.a. eine
Reihe westlicher Geiseln des IS vor laufender Kamera mit einem Messer
enthauptet hat. Menschen, die ihn persönlich erlebt haben, haben ihn als
Psychopathen beschrieben. Die USA sind bei ihrem Angriff offenbar mit äußerster
Behutsamkeit vorgegangen, um keine Unschuldigen zu töten (siehe http://www.nytimes.com/2015/12/20/us/politics/in-isis-strategy-us-weighs-risk-to-civilians.html
Persönlich tut mir das nicht besonders leid, und den allermeisten
geht es wahrscheinlich ähnlich. Aber Gefühle ersetzen nicht das kritische
Denken. War die Tötung von Emwazi richtig? So wie die Frage da steht, ist sie
erst mal vor allem konfus, denn es gibt ganz verschiedene Perspektiven, unter
denen man sie stellen und beantworten kann. Man kann z.B. danach fragen, ob es
rechtlich in Ordnung war. Dazu müsste man dann die einschlägigen Rechtsnormen
(Völkerrecht, Gesetze in den USA,
Großbritannien und mglw. auch das syrische Strafrecht) heranziehen und prüfen. Ich
bin kein Jurist, aber es erscheint mir durchaus einsichtig, dass die gezielte Tötung
eines Menschen ohne jegliches Verfahren, geschweige denn Verurteilung, juristisch zumindest problematisch ist. Man kann auch fragen, ob die Tötung Emwazis aus Sicht der
Bekämpfung des Terrorismus richtig im Sinne von zweckmäßig war oder nicht. Vor
dem Hintergrund seiner besonderen Bekanntheit – und in Unterstützerkreisen
vermutlich seiner beträchtlichen Popularität – z.B. als Botschaft, die andere
davon abschrecken soll, denselben Weg zu gehen, oder einfach ganz allgemein als
Schwächung des IS. Man kann außerdem fragen, ob die eigene Religion es
gestattet, andere Menschen unter bestimmten Umständen zu töten; da möge jeder seinen
Glauben selbst prüfen. Und man kann natürlich auch aus philosophischer Sicht fragen, ob es moralisch
in Ordnung war, Emwazi zu töten bzw. wie in ähnlichen Fällen vorgegangen werden
darf. Bevor ich dazu eine kurze Überlegung vorstelle, zuvor noch der Hinweis,
dass die Antworten auf diese Fragen keineswegs kongruent sein müssen, es sogar
wahrscheinlich nicht sind. Es kann z.B. aus Sicht der Kriegsführung höchst
zweckmäßig sein, jmd. zu töten, das muss es aber noch nicht juristisch oder
philosophisch legitimierbar machen. Oder es kann rechtlich erlaubt sein (die USA
berufen sich auf das im Völkerrecht verankerte Recht auf Selbstverteidigung),
ist aber aus moralischer Sicht abzulehnen bzw. ist im Sinne der erfolgreichen Terrorismusbekämpfung
eine ziemlich schlechte Idee, etwa dann, wenn man faktisch mehr neue Anhänger des IS
generiert als abschreckt, usw.
Philosophische Theorien gibt es viele, und die Antworten weichen
sehr voneinander ab. Ich lege hier einen neo-Hobbesianischen Ansatz zugrunde. Nach
dieser Interpretation ging Thomas Hobbes (1588-1679) in seinem Hauptwerk
Leviathan (1651) zunächst davon aus, dass es nicht möglich ist, Werte und Normen
zu begründen, die per se für alle gelten. Menschenrechte sind hierfür ein
Beispiel; alle Menschen haben – so heißt es – einfach qua ihres Menschseins
bestimmte unveräußerliche Rechte, die andere zu beachten haben. Für Hobbes sind
moralische Aussagen dagegen ausschließlich an das subjektive Befinden
desjenigen geknüpft, der sie äußert. Gleichwohl ist es in einem zweiten Schritt
möglich, auf Basis des jeweiligen Eigeninteresses allgemeine Regeln zu
begründen, die Menschen ein friedliches Zusammenleben ermöglichen, z.B. Regeln,
die es verbieten zu töten, zu stehlen, zu verleumden usw. Diese Regeln sind
deshalb durch das Eigeninteresse jedes Einzelnen begründet, weil sie es, sofern
sie allgemein befolgt werden, jedem
erlauben, sein Leben in Sicherheit zu führen und seinen Geschäften nachzugehen.
Um die Regeln durchzusetzen, bedarf es nach Hobbes allerdings einer Instanz, diese Instanz ist der
Staat. Den Staat stellt sich Hobbes deshalb als Ergebnis einer fiktiven Übereinkunft
(ich kürze hier jetzt etwas ab) der Bürger vor, in der sie darauf verzichten,
selbst Gewalt auszuüben und alle Gewalt sowohl im abstrakten wie im physischen
Sinne dem Staat übertragen, damit dieser Regeln erlässt und durchsetzt, die es
ihnen ermöglichen, friedlich und sicher miteinander zu existieren.
Titelbild des Leviathan, Quelle Wikimedia, PD-US
Vertragstheorie ist ein komplexes Thema und ein Blogeintrag
ist kaum der geeignete Ort, auf die Verästelungen einzugehen (vielleicht mal
später). Entscheidend für meinen jetzigen Zweck ist, man kann den Staat sehr
gut als gemeinsames Unternehmen ursprünglich vollkommen freier Individuen
verstehen, bei dem sie sich aus ihrem jeweiligen Eigeninteresse heraus
bereitfinden, an gewisse Regeln zu halten, deren allgemeine Befolgung die
Sicherung vitaler Interessen aller ermöglicht. Dieser Ansatz kommt m.E. mit sehr
wenigen Voraussetzungen aus und gibt eine einleuchtende Erklärung für die
Notwendigkeit bestimmter Normen.
Jetzt ist es nicht schwer, die Brücke zu dem Drohnenangriff
auf Emwazi zu schlagen. Emwazi war Teil eines Staatswesens, hat dann aber durch
seine extremen Gewalttaten an Briten, Amerikanern und anderen den Frieden gebrochen.
Damit hat er sich außerhalb der impliziten Übereinkunft bzw. der Gemeinschaft
gestellt, die auf dieser Übereinkunft beruht. In Hobbes’scher Terminologie ist
er wieder im Naturzustand. Da der Naturzustand eine moralisch befreite Zone
ist – erinnern wir uns: es gibt keine vorstaatlich gültigen moralischen Normen,
sondern diese werden erst durch die Übereinkunft begründet, die Emwazi
gebrochen hat – und jeder somit alles tun kann und darf, insbesondere natürlich,
um sich zu verteidigen, hat Emwazi keinen Anspruch mehr, geschont zu werden,
sondern kann im Gegenteil als Feind sogar von der eigenen Regierung getötet
werden, erst recht aber von der eines anderen Staates, dessen Staatsbürger er
hingerichtet hat. Quod erat demonstrandum.
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