21. Januar 2016

Philosophie der Terrorismusbekämpfung, Teil 1

Meldungen gab es schon letztes Jahr, nun hat der IS diese bestätigt: Mohammed Emwazi, der Öffentlichkeit auch bekannt als Jihadi John, ist im letzten Jahr in Raqqa/Syrien durch einen Drohnenangriff der USA getötet worden. Emwazi war britischer Staatsbürger und war der Mann, der 2014 u.a. eine Reihe westlicher Geiseln des IS vor laufender Kamera mit einem Messer enthauptet hat. Menschen, die ihn persönlich erlebt haben, haben ihn als Psychopathen beschrieben. Die USA sind bei ihrem Angriff offenbar mit äußerster Behutsamkeit vorgegangen, um keine Unschuldigen zu töten (siehe http://www.nytimes.com/2015/12/20/us/politics/in-isis-strategy-us-weighs-risk-to-civilians.html

Persönlich tut mir das nicht besonders leid, und den allermeisten geht es wahrscheinlich ähnlich. Aber Gefühle ersetzen nicht das kritische Denken. War die Tötung von Emwazi richtig? So wie die Frage da steht, ist sie erst mal vor allem konfus, denn es gibt ganz verschiedene Perspektiven, unter denen man sie stellen und beantworten kann. Man kann z.B. danach fragen, ob es rechtlich in Ordnung war. Dazu müsste man dann die einschlägigen Rechtsnormen (Völkerrecht,  Gesetze in den USA, Großbritannien und mglw. auch das syrische Strafrecht) heranziehen und prüfen. Ich bin kein Jurist, aber es erscheint mir durchaus einsichtig, dass die gezielte Tötung eines Menschen ohne jegliches Verfahren, geschweige denn Verurteilung, juristisch zumindest problematisch ist. Man kann auch fragen, ob die Tötung Emwazis aus Sicht der Bekämpfung des Terrorismus richtig im Sinne von zweckmäßig war oder nicht. Vor dem Hintergrund seiner besonderen Bekanntheit – und in Unterstützerkreisen vermutlich seiner beträchtlichen Popularität – z.B. als Botschaft, die andere davon abschrecken soll, denselben Weg zu gehen, oder einfach ganz allgemein als Schwächung des IS. Man kann außerdem fragen, ob die eigene Religion es gestattet, andere Menschen unter bestimmten Umständen zu töten; da möge jeder seinen Glauben selbst prüfen. Und man kann natürlich auch aus philosophischer Sicht fragen, ob es moralisch in Ordnung war, Emwazi zu töten bzw. wie in ähnlichen Fällen vorgegangen werden darf. Bevor ich dazu eine kurze Überlegung vorstelle, zuvor noch der Hinweis, dass die Antworten auf diese Fragen keineswegs kongruent sein müssen, es sogar wahrscheinlich nicht sind. Es kann z.B. aus Sicht der Kriegsführung höchst zweckmäßig sein, jmd. zu töten, das muss es aber noch nicht juristisch oder philosophisch legitimierbar machen. Oder es kann rechtlich erlaubt sein (die USA berufen sich auf das im Völkerrecht verankerte Recht auf Selbstverteidigung), ist aber aus moralischer Sicht abzulehnen bzw. ist im Sinne der erfolgreichen Terrorismusbekämpfung eine ziemlich schlechte Idee, etwa dann, wenn man faktisch mehr neue Anhänger des IS generiert als abschreckt, usw.

Philosophische Theorien gibt es viele, und die Antworten weichen sehr voneinander ab. Ich lege hier einen neo-Hobbesianischen Ansatz zugrunde. Nach dieser Interpretation ging Thomas Hobbes (1588-1679) in seinem Hauptwerk Leviathan (1651) zunächst davon aus, dass es nicht möglich ist, Werte und Normen zu begründen, die per se für alle gelten. Menschenrechte sind hierfür ein Beispiel; alle Menschen haben – so heißt es – einfach qua ihres Menschseins bestimmte unveräußerliche Rechte, die andere zu beachten haben. Für Hobbes sind moralische Aussagen dagegen ausschließlich an das subjektive Befinden desjenigen geknüpft, der sie äußert. Gleichwohl ist es in einem zweiten Schritt möglich, auf Basis des jeweiligen Eigeninteresses allgemeine Regeln zu begründen, die Menschen ein friedliches Zusammenleben ermöglichen, z.B. Regeln, die es verbieten zu töten, zu stehlen, zu verleumden usw. Diese Regeln sind deshalb durch das Eigeninteresse jedes Einzelnen begründet, weil sie es, sofern sie allgemein befolgt werden, jedem erlauben, sein Leben in Sicherheit zu führen und seinen Geschäften nachzugehen. Um die Regeln durchzusetzen, bedarf es nach Hobbes allerdings einer Instanz, diese Instanz ist der Staat. Den Staat stellt sich Hobbes deshalb als Ergebnis einer fiktiven Übereinkunft (ich kürze hier jetzt etwas ab) der Bürger vor, in der sie darauf verzichten, selbst Gewalt auszuüben und alle Gewalt sowohl im abstrakten wie im physischen Sinne dem Staat übertragen, damit dieser Regeln erlässt und durchsetzt, die es ihnen ermöglichen, friedlich und sicher miteinander zu existieren.  

Titelbild des Leviathan, Quelle Wikimedia, PD-US

Vertragstheorie ist ein komplexes Thema und ein Blogeintrag ist kaum der geeignete Ort, auf die Verästelungen einzugehen (vielleicht mal später). Entscheidend für meinen jetzigen Zweck ist, man kann den Staat sehr gut als gemeinsames Unternehmen ursprünglich vollkommen freier Individuen verstehen, bei dem sie sich aus ihrem jeweiligen Eigeninteresse heraus bereitfinden, an gewisse Regeln zu halten, deren allgemeine Befolgung die Sicherung vitaler Interessen aller ermöglicht. Dieser Ansatz kommt m.E. mit sehr wenigen Voraussetzungen aus und gibt eine einleuchtende Erklärung für die Notwendigkeit bestimmter Normen.

Jetzt ist es nicht schwer, die Brücke zu dem Drohnenangriff auf Emwazi zu schlagen. Emwazi war Teil eines Staatswesens, hat dann aber durch seine extremen Gewalttaten an Briten, Amerikanern und anderen den Frieden gebrochen. Damit hat er sich außerhalb der impliziten Übereinkunft bzw. der Gemeinschaft gestellt, die auf dieser Übereinkunft beruht. In Hobbes’scher Terminologie ist er wieder im Naturzustand. Da der Naturzustand eine moralisch befreite Zone ist – erinnern wir uns: es gibt keine vorstaatlich gültigen moralischen Normen, sondern diese werden erst durch die Übereinkunft begründet, die Emwazi gebrochen hat – und jeder somit alles tun kann und darf, insbesondere natürlich, um sich zu verteidigen, hat Emwazi keinen Anspruch mehr, geschont zu werden, sondern kann im Gegenteil als Feind sogar von der eigenen Regierung getötet werden, erst recht aber von der eines anderen Staates, dessen Staatsbürger er hingerichtet hat. Quod erat demonstrandum.

Hobbes‘ Begründung von Regeln aus dem Eigeninteresse der Mitglieder einer Gemeinschaft ist plausibel. Plausibel ist außerdem, dass es zur Durchsetzung eine Institution braucht, nämlich den Staat. Die Frage ist, ob das sozusagen schon alles ist. Die Argumentation, wonach es für die USA oder Großbritannien moralisch gesehen unproblematisch ist, Emwazi zu töten, steht und fällt also mit der These, dass es ansonsten keine moralischen Werte und Normen gibt, die in irgendeinem Sinne Geltung haben. Wenn man diese Annahme akzeptiert, steht einer auch gewaltsamen Terrorismusbekämpfung zumindest aus moralischer Sicht nichts mehr im Wege.

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