11. Februar 2016

Gott ist tot, aber der Staat lebt

In der Zeitschrift Nature ist eine Studie (leider nur hinter einer Paywall, hier der Link zu einer Presseberichterstattung: http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-19833-2016-02-11.html) veröffentlicht worden, wonach der Glaube an einen allwissenden und strafenden Gott sich sehr förderlich auf das soziale Verhalten von Menschen auswirke. Menschen verhielten sich, so das Ergebnis der Studie, erheblich kooperativer, wenn sie davon ausgingen, dass sie von Gott beobachtet und bei Fehlverhalten bestraft würden (seltsamerweise nicht bei Belohnung, aber das ist ein anderes Kapitel). Religion fördere so die Bildung und den Zusammenhalt von größeren Gesellschaften.

Intuitiv ist dies erst mal absolut nachvollziehbar, keiner will schließlich ein das eigene Verhalten lückenlos kontrollierendes, leicht erregbares und dann noch allmächtiges Wesen verärgern. Interessant finde ich vor allem die deutliche Parallele zur Staatsphilosophie von Thomas Hobbes (1588 - 1679, einem der Helden auf diesem Blog). Knapp zusammengefasst behauptet Hobbes, dass ein Zustand ohne Gesetze und strafende Instanz in einen Krieg aller gegen alle abgleiten würde. Daran kann aber niemand ein Interesse haben, dem Leib und Leben ist (außer möglicherweise sehr mächtigen Figuren, siehe meinen Debutpost zu Kilgrave). Also tun die Menschen sich zusammen und beschließen, sich fortan kooperativ zu verhalten. Diese Übereinkunft ist aber wenig wert, wenn a) nicht bestimmte Regeln erlassen und b) natürlich auch durchgesetzt werden, wir würden sonst einfach wieder in ein kurzfristiges egoistisches Denken und Handeln verfallen, aus dem dann schnell wieder der Krieg aller gegen alle wird. Welche Regeln das genau sind, kann dann im Einzelfall von sekundärer Bedeutung sein, Hauptsache, es gibt überhaupt eine Vorschrift, die Verhalten regelt und Kooperation somit ermöglicht. Deshalb richten wir außerdem eine entsprechende Instanz ein und statten sie, so Hobbes, mit absoluter Macht aus. Jetzt können wir in Frieden leben und gemeinsam am wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Fortschritt arbeiten.

Sowohl Hobbes wie die Studie machen klar, dass Frieden und Zivilisation auf Zwang und letzten Endes auf nackter Gewalt basieren bzw. auf der entsprechenden Erwartung. Menschen müssen davon ausgehen, dass ein Regelverstoß sicher oder zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit erkannt und dann unweigerlich negative Konsequenzen haben wird. Ich fürchte nur, auf Gott oder eine ausreichende Zahl von Gläubigen werden wir uns dabei nicht mehr verlassen können. Die Studie zeigt uns also implizit, was Hobbes explizit macht, nämlich dass wir eine andere, weltliche Instanz mit derselben Funktion brauchen – den Staat, der Gesetze erlässt und durchsetzt. Der Staat nimmt die Rolle von Gott ein, so könnte man Hobbes auch zusammenfassen. Das ist abstrakt, aber man kann daraus konkrete Folgerungen ziehen. Wenn wir den Staat an die Stelle Gottes als Garantiemacht des Friedens setzen, dann muss er auch gleichsam göttliche Fähigkeiten erhalten. Zum Beispiel Allwissen in Form einer flächendeckenden Installation von Videokameras. Oder Allmacht in Gestalt einer Polizei, die alle Kompetenzen hat, die sie für ihre Aufgabe braucht, usw.

Die moderne Version von Gott (Quelle Wikimedia Commons, Photographed by User:Mike1024

Da mag einem natürlich eine Spur unwohl werden, ein Gefühl, das bereits Zeitgenossen von Hobbes beschlichen hat. Wir haben schließlich nicht nur Erfahrungen mit failed states, sondern auch mit totalitären Staaten. Das anthropologische Bild von Hobbes – wir sind in der Summe egoistische, asoziale Wesen, die ohne Bändigung von außen in einen Kriegszustand abgleiten würden – scheint mir allerdings richtig. Vertrauen in den natürlich guten Menschen habe ich nicht, das geht mir bereits im Berliner Straßenverkehr verloren. Und dann wird es schwer, sich der Logik der Hobbes’schen Argumentation zu widersetzen, die, das ist richtig, zumindest ohne große Mühe auch in eine totalitäre Richtung zu lenken wäre. Er selbst hat das allerdings nicht gemeint, er präferierte zwar eine absolute Monarchie, gab aber immerhin zu, dass es auch unter seinen Voraussetzungen andere Möglichkeiten, einschließlich eines parlamentarischen Systems gäbe. Wie absolut der Staat sein muss, oder vielleicht besser gesagt, wie man die absolute Gewalt des Staates verstehen muss, ist also nochmal eine weitere Frage. Bei anderer Gelegenheit mehr dazu. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen