3. Februar 2016

Wortwahl und Selbstauskunft

In der Süddeutschen Zeitung von heute ist ein Artikel über Frank S. zu lesen, den Mann, der im letzten Oktober Henriette Reker und einige weitere Personen mit einem sog. "Rambo-Messer" (30 cm lange Klinge, vorne spitz) angegriffen und dabei die heutige Kölner Oberbürgermeisterin so schwer verletzt hat, dass sie beinahe an Ort und Stelle gestorben wäre. Frank S. ist danach ein ordentlicher Mensch, der vor seiner Tat noch seine Mietverhältnisse geklärt und seine Kaninchen untergebracht hat. In der Untersuchungshaft gibt er sich als mustergültiger Gefangener.
Die eigene Begründung für seine Tat ist, dass die politisch Verantwortlichen in der Bundesrepublik "Hochverrat" begehen würden. Gemeint ist natürlich die Flüchtlingspolitik, genauer die Tatsache, dass sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Dieser Begriff "Hochverrat" erinnert an ein anderes Wort, das im Zuge der Debatte ebenfalls schon zu hören war, nämlich dass die Bundeskanzlerin ihren Amtseid verletzt hätte, der sie verpflichte, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.

Diese Begrifflichkeit scheint mir aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen werden von der Position des Sprechers abweichende Auffassungen über die richtige Flüchtlingspolitik nicht mehr als Teil der normalen politischen Auseinandersetzung innerhalb eines allen Diskussionsteilnehmern gemeinsamen Rahmens betrachtet, sondern kriminalisiert. Dieser Unterschied ist groß. Im ersten Fall würde man sagen, dass man mit der Position und den Entscheidungen bspw. unserer Bundeskanzlerin aus den und den Gründen nicht übereinstimme. Natürlich billigt man ihr und anderen aber dennoch das Recht zu, diese Auffassungen zu vertreten. Der Dissens wird als Teil des normalen demokratischen Prozesses verstanden, an dem jeden Tag Politik, Medien und informierte Öffentlichkeit teilnehmen.. Im zweiten Fall spricht man der Gegenposition jede Legitimität ab. Über Hochverrat oder den Bruch des Amtseides lässt sich nicht diskutieren, beides ist grundsätzlich verwerflich und außerhalb des erlaubten Rahmens.

Zum zweiten, wenn diese Position grundsätzlich illegitim ist, wenn also aus Sicht des Sprechers ein Verbrechen vorliegt, dann liegt es auch nahe, dass man in der Reaktion hierauf eine Art Notstandsrecht annimmt. Wie will man diesen fortgesetzten Gesetzesbruch der politisch Verantwortlichen sonst stoppen? Selbst wenn man eine solche Selbstermächtigung de facto, sozusagen als psychologische Tatsache nicht reklamiert, die Begrifflichkeit alleine führt auf diesen Schluss zu.

Natürlich greifen die allermeisten Kritiker der bisherigen Flüchtlingspolitik nicht zum Rambo-Messer. Aber manche haben doch eine Wortwahl, die auf Grund ihrer Polarisierung keinen Raum für Meinungsverschiedenheit lässt, Andersdenkende bzw. politisch Verantwortliche kriminalisiert und in der Konsequenz damit den demokratischen Prozess selbst in Frage stellt. Das scheint mir eine neue Entwicklung. Mehr noch, diese Bereitschaft zur Radikalität scheint in diversen Schattierungen inzwischen einen erheblichen Teil der Bevölkerung ergriffen zu haben, vielleicht sogar mehr als die AfD derzeit an Zustimmung erfährt. Ich hätte so etwas früher nicht für möglich gehalten, das Deutschland der letzten Jahrzehnte erschien mir immer als ein demokratisches Musterland. Inzwischen bin ich mir nicht mehr sicher, möglicherweise sind die Dinge ins Rutschen geraten.

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