2. April 2016

Der Anstand der Misanthropie

Vor zwei Wochen in der Markthalle: Ich betrete sie und wende mich Richtung Stand mit den guten Croissants, als mich ein Mann, deutsch, ca. Mitte 40, ich würde sagen Akademiker mit gutem Einkommen, der noch einige Meter entfernt ist, sieht und sofort einen Spurt einlegt. Ich denke, der Herr hat es eilig, und trete beiseite, um ihm Platz zu machen, er rennt an mir vorbei und stellt sich dann genau vor dem Stand auf, um dort Croissants und ähnliches im Werte von knapp 20 Euro zu kaufen, was wahrlich so seine Zeit brauchte.

Vorgestern in der Bergmannstraße, und zwar in dem Teil, der als Fahrradstrasse ausgewiesen ist, was für Autofahrer die Auflage nach sich zieht, besonders zurückhaltend zu fahren. Ein Autofahrer hält sich dran und fährt ungefähr 30 km, nicht gerade Schrittgeschwindigkeit, aber langsam genug. Hinter ihm ein Porsche Cayenne, kräftig hupend und versucht immer wieder, an ihm vorbeizuziehen.

Molière hatte recht
Quelle Wikimedia Commons

Heute Morgen - wieder Markthalle. Am Obst-/Gemüsestand bedient sich jemand weitgehend selbst. Erneut obere Mittelklasse, auch hier wieder deutsch. Dabei wirft er eine Orange herunter, die mir vor die Füße rollt. Er sieht die Orange, setzt aber seinen Einkauf fort. Da sie nun mal direkt vor mir liegt, hebe ich sie auf und lege sie zurück, was er ebenfalls bemerkt. Stört ihn immer noch nicht, er sucht weiter sein Obst aus, nicht mal ein freundliches Nicken, geschweige denn ein Dank.

Schopenhauer natürlich auch
Quelle Wikimedia Commons

Bis vor einigen Tagen habe ich mich auf diesem Blog als Misanthrop beschrieben. Meine Umgebung hat daran ein wenig Anstoß genommen, und ich habe mich überzeugen lassen, diesen Begriff zu streichen. Gleichwohl, ich halte es mit Alceste aus Molières Menschenfeind und frage mich, wie kann man in dieser Welt eigentlich kein Misanthrop sein? Natürlich gibt es Menschen, die nett, rücksichtsvoll, großzügig, klug usw. sind, aber es gibt auch einfach wahnsinnig viele Egoschweine, wahnsinnig viele Menschen, die dumm sind und vulgär, aber trotzdem eitel, wahnsinnig viele Menschen, die glauben, sie seien Gottes großes Geschenk an die Welt. Und das waren alles Lappalien. Von Fassbomben und Terroranschlägen will ich jetzt gar nicht reden, aber auch da stecken tatsächlich immer Menschen dahinter. Wenn man sich das alles mal zu Gemüte führt, muss ich sagen: Misanthropie scheint mir schlicht und ergreifend eine Frage des Anstandes zu sein. Da sind mir unsere Katzen lieber. 

Enzensberger: seine Adaption des Menschenfeindes kann ich ebenfalls nur empfehlen
Quelle Wikimedia Commons

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