26. Mai 2016

Sascha Lobo und die Nazis

Ich schätze die Kolumnen von Sascha Lobo zumeist, aber manchmal verläßt ihn echt das Augenmaß. In seinem neuen Beitrag (http://www.spiegel.de/netzwelt/web/norbert-hofer-donald-trump-und-ueberwachung-sascha-lobo-kolumne-a-1094061.html) beginnt das beim Titel. Überwachungstechnik in Extremistenhand: Nazis am Abzug heißt es. Mit den Nazis sind Front National, AfD, FPÖ und Donald Trump gemeint. Wer sich diesen Blog schon mal angeschaut hat, weiß, dass ich für all diese Parteien nur massive Ablehnung und Verachtung empfinde. Und trotzdem sollte man nicht immer gleich zur Nazi-Keule greifen.
Nazis waren diejenigen, die eine genozidale Ideologie vertreten, einen Weltkrieg begonnen, einen Völkermord an den europäischen Juden verübt, einen Vernichtungskrieg gegen Russland geführt und mittendrin von ihnen als behindert empfundene Menschen systematisch in deutschen Anstalten vergast haben. Das sind Nazis. In einer sekundären Bedeutung des Wortes kann man diesen Begriff auch auf solche Leute anwenden, die all das gut finden und ausgesprochen oder implizit ähnliche Ziele vertreten. Keine Nazis sind: Nationalkonservative, Antidemokraten, Rechtspopulisten oder Nationalisten. Diese Kategorien durcheinanderzuwerfen ist erstens unpräzises Denken und verharmlost die Nazis zweitens nur.

Jetzt zum Inhalt. Sascha Lobo scheint ernsthaft zu glauben, dass ein Staat in, sagen wir, AfD-Hand – also mit einer AfD-Mehrheit im Bundestag – in irgendeiner Weise darauf angewiesen wäre, was in früheren Legislaturperioden beschlossen worden ist. Das ist Quatsch. In Polen oder der Türkei kann man gerade sehr schön sehen, dass die jeweiligen Machthaber ganz unabhängig von dem, was frühere Regierungen getan haben, ihr antidemokratisches Programm einfach durchziehen. Die sind nicht darauf angewiesen, dass da irgendwas vorbereitet wurde, die machen das einfach. Und damit stimmt bereits die Prämisse der ganzen Argumentation nicht mehr. Das tieferliegende Problem sind die technischen Möglichkeiten, die es heute gibt und die demgemäß auch Diktatoren nutzen können, nicht die Einführung einer m.E. recht moderaten Vorratsdatenspeicherung o.ä. 

In seinem Furor wirft Lobo allerdings alles, was ihm irgendwie in die Argumentation passt, in einen großen Topf und zieht dann dramatische Schlüsse. Türkei, Trump, de Maizière, alles eine Soße. Da wird dann die Kritik des Innenministers, zu der er in einem freien Land jedes Recht hat, an einem Beschluss gleich zu einer „Attacke“ auf das Bundesverfassungsgericht. Damit aber nicht genug. Einige Zeilen später fährt Lobo fort: Ein von de Maizière entzahntes Bundesverfassungsgericht würde einem Innenminister Björn Höcke ausgezeichnet ins Konzept passen, die Überwachungsbefugnisse hervorragend gegen diejenigen verwendet werden können, die Höcke als "Staatsfeinde" betrachten möchte (meine Hervorhebung). Häh, was ist denn jetzt los? Müssen wir jetzt alle einer Meinung sein? Ist Kritik an Beschlüssen eines Gerichts nicht mehr erlaubt? Und ist diese Kritik jetzt schon gleichbedeutend nicht nur mit einer „Attacke“, sondern einer veritablen Kompetenzbeschneidung? Bei allem Respekt, Lobo ist hysterisch, und das hilft überhaupt nicht seinem Anliegen.

Auf eine Frage bleibt Sascha Lobo die Antwort schuldig, nämlich: welche Befugnisse sollten Sicherheitsbehörden mit Blick auf die Technik unserer Zeit haben. Es ist vermutlich auch nicht in seinem Sinne, dass die Nachrichtendienste sozusagen im Zeitalter der Briefpost stecken bleiben, während Jihadisten, oder andere längst Messengerdienste mit automatischer Verschlüsselung nutzen. Lobo hat da eine etwas kavalierhafte Einstellung, die sich z.B. in diesem Satz äußert: In Frankreich hat Präsident Hollande die schärfsten Überwachungsgesetze erlassen und den "Notstand" zur staatlichen Dauernormalität werden lassen, weil, ach, Europameisterschaften. „Ach, Europameisterschaften“? Der Mann hat offenbar nicht den geringsten Schimmer, welch ein Albtraum solche Veranstaltungen für Politik und Sicherheitsbehörden sind. An der Bereitschaft von Terroristen, möglichst viele Menschen auf möglichst brutale Weise zu töten, sollte er jedenfalls nicht zweifeln. Hinterher zu sagen, die Sicherheitsbehörden hätten versagt, weil irgendeiner der Täter vor drei Jahren schon mal aufgefallen ist, ist dann natürlich einfach. Man hätte ihn ja einfach drei Jahre lang lückenlos überwachen müssen (nur nicht mit technischen Mitteln). So wie die anderen drei- oder viertausend. 

Damit will ich nicht sagen, dass alles dem Sicherheitsgesichtspunkt untergeordnet werden soll. Auch dort ist manches hysterisch, vor allem in den USA. Aber die öffentliche Sicherheit ist nicht nur ein legitimes Anliegen, es ist staatliche Kernaufgabe. Auch unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts.

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