15. Mai 2016

Sollte man Woody Allen boykottieren?

Meine Liebste hat heute Morgen beim Frühstück eine interessante Frage zur Diskussion gestellt: Sollte man die Filme von Woody Allen boykottieren, wenn die Vorwürfe stimmten, dass er sich an seinen Adoptivkindern sexuell vergangen hat? Allgemeiner: Sollte die moralische Bewertung eines Künstlers unabhängig von der Qualität seiner Werke Konsequenzen für die Entscheidung haben, ob man diese Werke kauft bzw. konsumiert?
Da ich erstmal keine Antwort parat hatte, habe ich mit zwei Gegenfragen geantwortet:
1) Sollte man die Werke eines Künstlers, Schriftstellers ggf. also umgekehrt kaufen/konsumieren, weil er ein moralisch besonders guter Mensch ist?
2) Sollte die moralische Bewertung eines Wissenschaftlers Auswirkungen darauf haben, ob man seine Ergebnisse zur Kenntnis nimmt oder nicht?

Die beiden letztgenannten Fragen beantworte ich mit Nein. Zumindest werde ich ganz sicher nicht uninteressante Bücher lesen, nur weil sie ein Heiliger geschrieben hat (Ich nehme an, das es sich um eine graduelle Frage handelt, d.h. je größer das Verbrechen, desto eher Boykott bzw. umgekehrt). Und die Ergebnisse eines Physikers oder eines Philosophen gelten ebenfalls für sich und werden nicht durch die gleichsam private Persönlichkeit tangiert, so unerfreulich diese auch sein mag. Somit besteht also kein Grund, nicht einen Film von Woody Allen zu sehen, selbst wenn er seine Adoptivkinder missbraucht hätte. Hauptsache, der Film selbst oder das Buch, das Bild, die Musik sind für sich gut genug (Das könnte sich in diesem Fall als das größere Problem herausstellen).

Gilt das auch für Unternehmen oder Staaten? War es z.B. richtig, 1980 die Olympischen Spiele in Moskau zu boykottieren, weil die UdSSR in Afghanistan einmarschiert war? Was hat dieses Sportereignis mit außenpolitischen Entscheidungen der Regierung des Gastlandes zu tun? Nun, ungefähr so viel, wie Allens Verhalten gegenüber den Kindern mit seinen Filmen zu tun hat. Aber man kann eine Invasion doch nicht noch implizit billigen, indem man so tut, als sei nichts passiert ...(Aber man kann Missbrauch doch nicht noch implizit billigen, usw.). 

Vielleicht sind die Fälle doch nicht ganz so parallel, wie die letzten Sätze nahelegen. Im Falle der UdSSR ging es um eine gerade begonnene und zum Zeitpunkt der Olympischen Spiele andauernde Politik, nicht um etwas, das schon Jahrzehnte zurücklag. Ziel war es, Moskau zu zeigen, dass sein inakzeptables Verhalten mit Kosten verbunden sein würde (Wie wäre es z.B., wenn man die Fußball-WM 2018 in Russland wegen der sowjetischen Invasion in Afghanistan boykottieren würde, das wäre die Parallele zum Fall Allen? Auf staatlicher Ebene wirkt das allerdings ziemlich sinnfrei). Und vielleicht würden wir auch über Woody Allens Filme anders denken, wenn Grund für die Annahme spräche, dass er andauernd weiter Kinder sexuell belästigt. Nehmen wir den Fall des BBC-Moderators und Discjockeys Jimmy Savile, der heute als der schlimmste Sexualstraftäter in der Geschichte Großbritanniens gilt. Seine Sendungen, so witzig sie gewesen sein mögen, hätte man ganz eindeutig boykottieren sollen, um ihm den Schutz zu nehmen, den seine Popularität ihm geboten hat. 

Zwischenergebnis ist also, dass man Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler oder Länder dann boykottieren sollte, wenn man auf diese Weise vielleicht dazu beitragen kann, Schlimmeres zu verhüten. Das ist aber nur ein vorläufiges Ergebnis. Ich finde es z.B. nicht unmittelbar einsichtig, dass die Bewertung eines Verhaltens ceteris paribus vom Zeitpunkt abhängt, zu dem es stattgefunden hat. Warum sollte Allens Verhalten irrelevant werden, bloß weil es schon einige Jahre zurückliegt? Ziehen wir für jedes Jahr einen Teil der Schuld sozusagen ab?

Genug, ich komme nicht weiter. Der heutige Post hat kein Ergebnis.

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