12. Juni 2016

Der Philosoph der AfD

Auf Zeit Online findet sich ein lesenswertes Interview mit Marc Jongen (http://www.zeit. de/2016/23/marc-jongen-afd-karlsruhe-philosophie-asylpolitik). Jongen, der früher Assistent von Sloterdijk war, ist von Beruf Philosophiedozent in Karlsruhe, daneben stellvertretender Vorsitzender der AfD in Baden-Württemberg und Mitglied der AfD-Programmkommission. Er gilt als der AfD-Parteiphilosoph, die intellektuelle Stimme der Protestpartei. Worum es Jongen in diesem Interview geht, ist die Bewahrung des „Eigenen“ gegenüber dem Fremden, insbesondere dem Fremden in Gestalt des Islamischen. Jongen hält es für unmöglich, dass sich die zahlreichen Flüchtlinge wirklich integrieren lassen. In der Konsequenz würde das dazu führen, dass andere Anschauungen, andere Sitten und sogar andere Sprachen in dieses Land einziehen. Deutschland habe sich, als es so viele Flüchtlinge hereingelassen hat, zumindest teilweise selbst aufgegeben und begonnen, eine „linksradikale“ Politik umzusetzen. Die AfD bzw. die weiteren Gruppierungen am rechten Rand treten an, das unserem Land "eigene" zu bewahren. 
File:2015-01-17 3766 Marc Jongen (Landesparteitag AfD Baden-Württemberg).jpg
Marc Jongen (Quelle Wikimedia Commons)
Worin das Eigene inhaltlich besteht, bleibt leider ziemlich unscharf. Ich habe in mehreren früheren Posts die Gegenthese formuliert, dass es so etwas a) im Grunde nicht gibt und b) wir es auch nicht brauchen, weil es völlig ausreiche, wenn es einen rechtlichen Rahmen gibt, der die persönliche Freiheit garantiert. Jongen, die AfD, Pegida oder auch die Bewegung der Identitären, über die er sich positiv äußert, sind in diesem Punkt natürlich dezidiert anderer Meinung. Umso wichtiger wäre es, mal eine inhaltliche Bestimmung dieser Qualität vorzunehmen, um zu wissen, wovon eigentlich die Rede ist. Sobald das geschieht, dürfte klar werden, dass es Jongen et al. nicht nur um eine Abwehr des Fremden von außen, sondern auch die Bekämpfung des „Nicht-Deutschen“ im Inneren geht, mit anderen Worten dass AfD und die anderen Gruppen, Vereine und Bewegungen der Neuen Rechten zwangsläufig auch einen Kulturkampf nach innen führen. Dieser Aspekt wird nach meinem Gefühl noch nicht ausreichend wahrgenommen.  

Den Unterschied zwischen Jongen und den Liberalen könnte man auch so formulieren, dass die Liberalen einen extrem schwachen Begriff des Eigenen haben und Jongen einen sehr starken. Für die liberale Seite besteht das Eigene in einem Leben-und-leben-Lassen, in einem Rahmen, der die Schwachen gegenüber den Starken schützt, wenn sie diesen Schutz brauchen, ansonsten aber jedem die Möglichkeit gibt, sein Glück in der ihm gemäßen Weise zu suchen. Schön und wahrscheinlich sogar unerlässlich wäre es außerdem, wenn dieses nicht nur abstrakte Rechtsnorm, sondern gelebte Kultur wäre. Damit hat es sich dann schon. Demgemäß einfach ist es, neue Gesellschaftsmitglieder aufzunehmen. Es reicht, wenn sie die Gesetze beachten. Das Eigene, von dem Jongen spricht, dürfte dagegen sehr viel weiter gehen und vor allem bestimmte Traditionen und Lebensweisen umfassen, die als Teil unserer (kulturellen, ethnischen) Identität wahrgenommen werden. Deshalb ist es für ihn ja so problematisch, Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren, denn die können sozusagen nicht innerhalb eines Jahres umgeschult werden. Es bleibt trotzdem unklar, wovon im Einzelnen die Rede ist. Wenn man AfD-Vertretern zuhört, hat man allerdings den Eindruck, dass zum Eigenen u.a. eine helle Hautfarbe gehört und dass alles Islamische definitiv nicht dazu gehören kann, solange die Vertreter der Neuen Rechten aber nur in Andeutungen sprechen, ist man hier eben auf Vermutungen angewiesen. Das Eigene nur negativ zu bestimmen, reicht jedenfalls nicht, denn der Begriff braucht rein logisch den Bezugspunkt einen positiven Gehaltes, um das Fremde überhaupt bestimmen zu können. In dieser zentralen Frage ist die Neue Rechte intellektuell nach meinem Eindruck noch ziemlich schwach. Möglicherweise müssen sie das selbst noch klären, möglicherweise wollen sie es auch nicht in die Öffentlichkeit tragen. Es bleibt spannend. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen