26. Juni 2016

Die Selbstinfantilisierung der Bürger

Der Katzenjammer in Großbritannien über den Ausgang des Referendums wird immer größer. Inzwischen haben über 3 Millionen die Onlinepetition über eine Wiederholung unterzeichnet. Leserzuschriften und Tweets häufen sich, in denen sich Brexit-Befürworter beklagen, sie seien falsch informiert worden. Bei den Tories findet sich plötzlich niemand, der bereit wäre, das Ergebnis umzusetzen und gegenüber der EU den Austritt zu erklären. Ausgerechnet Boris Johnson sieht Großbritannien plötzlich im Herzen Europas.

Jetzt muss ich Dampf ablassen: Das ist wirklich jämmerlich. Ausgerechnet viele Briten haben offenbar Demokratie nicht verstanden. Ja, Abstimmungen haben tatsächlich Konsequenzen, deshalb werden sie durchgeführt. Und wer sich an die Spitze einer Kampagne setzt und dann Erfolg hat, muss anschließend auch Verantwortung übernehmen. Irgendwie bekomme ich den Eindruck, dass sehr viele Briten geglaubt haben, sie könnten mal kräftig auf die Kacke hauen, aber die da oben würden schon dafür sorgen, dass anschließend nichts Schlimmes passiert. Und Boris Johnson scheint überhaupt keinen Plan für den Tag danach zu haben. Dass er jetzt womöglich die reale Verantwortung für den formalen Austritt übernehmen soll, hat ihn offenbar völlig auf dem falschen Fuß erwischt. Welch ein Gegensatz zu Nicola Sturgeon, die bereits am Tag 1 nach Referendum echte Führungsqualitäten zeigte.  


Johnson ist ein sehr trübes Kapitel für sich. Schlimmer finde ich die Selbstinfantilisierung der Wähler. Das tiefere Selbstbild dieser Menschen, in Großbritannien wie aber auch anderswo, ist nicht das eines Bürgers, der für sein Gemeinwesen mit Verantwortung trägt, sondern das eines Teenagers, der mal über die Stränge schlägt und davon ausgeht, dass die Erwachsenen es schon wieder richten werden. Falsch informiert worden, ich fasse es nicht. Die Leute sind selbst dafür verantwortlich, sich umfassend zu infomieren, das kann man nicht delegieren. Und wenn es an etwas in den modernen Gesellschaften nun wirklich nicht mangelt, dann ist es das Überangebot an seriösen Informationen und unterschiedlichen Standpunkten, an denen man seine eigene Meinung entwickeln kann. 

Brot und Spiele. Solange für beides gesorgt wird, muss man sich um nichts weiter mehr kümmern. Und wenn was schief läuft, sind natürlich die da oben schuld. Wer denn sonst?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen