Der Islamische Staat verfügt bekanntlich über eine hohe Zahl
an ausländischen Kämpfern, darunter etwa 7.000 Europäer. Aus terroristischer
Sicht ein großartiges Personenreservoir, Leute, die einen europäischen Pass haben,
in Europa aufgewachsen sind, die Bedingungen dort kennen und die fließend
Deutsch, Französisch usw. sprechen. Leider ist zu erwarten, dass aus dieser
Personengruppe noch schwere Anschläge erfolgen werden.
Gleichwohl setzt der IS aber auch auf eine weitere Gruppe,
nämlich Flüchtlinge. Der Einfachheit halber zähle ich dazu sowohl genuine Flüchtlinge, die sich nachträglich radikalisiert
haben, wie auch Personen, die gezielt als Flüchtlinge nach Europa geschleust
wurden, um hier Anschläge zu begehen. Bis vor wenigen Monaten gab es für diese Praxis keinerlei Hinweise,
inzwischen ist leider das Gegenteil klar.
Entsprechend fallen die Kommentare derer aus, die es schon
immer gewusst haben. Auf Twitter gibt es einen eigenen Hashtag, der für sämtliche
einschlägigen Ereignisse der letzten Wochen eine klare Schuldige ausgemacht hat, die Bundeskanzlerin. Auch AfD-Vertreter, wie Fr. v. Storch, schreiben Frau Merkel die direkte Verantwortung für Würzburg und die anderen Anschläge zu und nutzen jedes auch noch so dürftige Beispiel, um ihre These zu untermauern.
Ignorieren wir mal die Polemik und den Hass in der Debatte und schauen
allein auf die sachlichen Zusammenhänge. Es ist zunächst offensichtlich richtig, dass wenn
keine Flüchtlinge zu uns kommen, auch keine Untergruppe von Flüchtlingen, also diejenigen,
die Anschläge begehen, zu uns kommen kann. Ebenso richtig ist, dass wenn keine
Ausländer zu uns kommen, auch nicht deren hier geborene Kinder (also etwa die
eingangs angesprochenen europäischen IS-Kämpfer), später zu einem Sicherheitsrisiko
werden können, denn die wären dann ja ebenfalls nicht hier. Aus dieser AfD-Logik
heraus wird dann die Forderung erhoben, die Grenzen zu schließen und möglichst wenig Migration in unser Land
zuzulassen.
Die Argumentation ist trotzdem sehr schlicht. Erstens macht
man eine riesige Personengruppe für die Taten von Einzelnen verantwortlich. Deutschland
hat letztes Jahr ca. 1 Million Flüchtlinge aufgenommen. Wir hatten in diesem
Jahr mit Würzburg und Ansbach bisher zwei genuine Taten mit IS-Bezug, nehmen
wir jetzt auch noch den Beziehungsmord von Reutlingen und den Amoklauf von
München hinzu (obwohl die eigentlich aus verschiedenen Gründen gar nicht passen)
und addieren die jüngste Festnahme in Rheinland-Pfalz. Dann nehmen wir, um eine
Dunkelziffer abzubilden, das ganze mal zwei. Damit sind wir bei 10 verübten
oder geplanten schweren Gewaltverbrechen in 2016. Bezogen auf die Flüchtlingszahl
allein von 2015 (nicht auf Ausländer insgesamt, man sieht, ich mache es mir selbst schwer) haben wir damit
einen Prozentsatz von 0,001. Über diese Zahlenverhältnisse sollte man sich
schon im Klaren sein. Wer sagt, wir dürften wegen Terrorgefahr keine
Flüchtlinge mehr aufnehmen, sagt, 99,999% jetzt und zukünftig völlig unbescholtener Flüchtlinge
sollten abgewiesen werden, damit wir auch die 0,001% terroristische Gewalttäter
abweisen. Man kann natürlich so argumentieren, besonders überzeugend finde ich das
allerdings nicht, erst recht nicht, wenn man berücksichtigt, vor welchen Zuständen die Menschen fliehen.
Zweitens übersieht die AfD-Logik, dass wir natürlich nicht
nur Terroristen ausschließen, sondern auch jegliche andere Subgruppe innerhalb
der Flüchtlinge. Wir verhindern also nicht nur Terroristen, wir verhindern auch
Ärztinnen, Altenpfleger, Unternehmerinnen, Bundesligaspieler, Schriftstellerinnen, Nobelpreisträger,
Busfahrer, Polizistinnen usw. Wenn man fair argumentiert, müsste man das schon mit
in die Waagschale werfen. Das gilt umso mehr, als unsere Gesellschaft vor
großen demographischen Problemen steht. Man kann immer noch sagen, egal,
Hauptsache kein Terror, Grenzen dicht, mir scheint diese Argumentation allerdings gerade nochmal ein gutes
Stück schwächer geworden zu sein.
Drittens setzt die AfD-Argumentation schwere Gewalttaten
ausschließlich zu einer einzigen Gruppe in Beziehung. Dass im selben Zeitraum z.B.
ein Rentner in Berlin seinen Arzt mit einem Messer getötet hat oder Silvio S., der Mörder
der beiden kleinen Jungen, verurteilt worden ist, geht völlig unter und wird nicht in Beziehung zu
Rentnern oder Deutschen gesetzt bzw. problematisiert. Bei den oft schweren Gewalttaten von rechts wird in der öffentlichen Diskussion alles getan, um eine
Stigmatisierung der neuen Bundesländer zu vermeiden. Warum eigentlich? Ist es
nicht offenkundig, dass wir hier ein Problem haben und dass es vielleicht keine
gute Idee war, zig Millionen Menschen ohne jegliche Überprüfung in unser Land
zu lassen? Man kann sie jetzt nicht mehr rausschmeißen, aber man kann Diskussionen
offen führen und sich fragen, ob hier Handlungsbedarf besteht. Passiert aber
nicht, es geht immer nur um Ausländer. Dieser Fokus offenbart einen gewissen
rassistischen Unterton in der Debatte. Wenn wirklich die Sorge um Gewalttaten dahinter stünde, wäre es jedenfalls sinnvoll, ähnliche Debatten zu Rentnern oder Sachsen zu führen.
Zuletzt, wer glaubt, man könne in einer globalisierten Welt quasi
einfach die Tür zu machen und müsse sich um nichts weiter kümmern, lebt in einer Phantasiewelt. Die Probleme in Afghanistan, Äthiopien, Libyen und – vor allem –
Syrien sind unsere Probleme, weil wir den Auswirkungen nicht entgehen können.
Und entgegen aller Sonntagsreden tun wir sehr, sehr wenig, um Fluchtursachen zu bekämpfen, gerade in Syrien,
wo der Westen den Fassbomben auf Wohngebiete und Luftangriffen auf
Krankenhäuser einfach nur zusieht. Natürlich löst das Fluchtbewegungen aus. Und Menschen, die um ihre Existenz und das Leben und die Zukunft ihrer
Kinder kämpfen, werden sich am Ende nicht von Grenzzäunen aufhalten lassen. Sie werden Wege finden, zu uns zu kommen, jedenfalls in hohen Zahlen, es fragt sich nur wie. Es wäre klüger das anzuerkennen und sinnvoll zu strukturieren als eine Verweigerungspolitik zu betreiben.
Flüchtlinge sind keine besseren Menschen. Es gibt unter
ihnen Dummköpfe, Betrüger, Vergewaltiger und auch Terroristen. Natürlich kommen zwangsläufig auch solche Menschen ins Land, es kann nicht anders sein. Aber es
kommen eben auch ganz viele andere. Und es liegt schon auch ein wenig an uns selbst, ob
Integration klappt oder nicht. Indem wir im Fremden prinzipiell vor allem das Böse sehen, welches ausgeschlossen werden muss, leisten wir jedenfalls ganz sicher keinen Beitrag, und zwar auch nicht zu unserer Sicherheit.
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