17. Dezember 2016

Aleppo und der linke Pazifismus

Ich fand die Friedensbewegung schon in den 80er Jahren völlig bescheuert. Krieg schien in ihrer Weltsicht etwas zu sein, was ausschließlich vom Westen ausging. Dass es die UdSSR war, die das Wettrüsten mit den SS-20-Systemen eröffnete, um eine Lücke in der Eskalationsleiter auszunutzen und auf diese Weise einen Keil zwischen Nordamerika und Europa zu treiben, wurde komplett ausgeblendet ebenso wie die Tatsache, dass der NATO-Doppelbeschluss das Angebot an die UdSSR beinhaltete, gegenseitig auf alle Mittelstreckenraketen zu verzichten und die Nachrüstung erst notwendig wurde, nachdem die sowjetische Führung von ihrem Kamikazekurs nicht abrücken wollte. Für mich zeichnete sich die Friedensbewegung damals durch eine Mischung aus Selbstgerechtigkeit, Antiamerikanismus und totaler Ignoranz in strategischen Fragen aus. Trotz linker Grundeinstellung war ich als einer der wenigen Studenten in Bonn dezidiert für die Nachrüstung.
File:Ghouta massacre2.JPG
Opfer des Giftgasangriffs 2013 auf Ghouta (Quelle Wikimedia Commons)
Nun, die Friedensbewegung ist immer noch genauso bescheuert. Sie wird zwar spätestens Ostern wieder für den NATO-Austritt und völlige Abrüstung demonstrieren, zu dem sehr realen Krieg in Syrien findet sie aber kein Wort. Und das, obwohl es sich schon lange um keinen reinen Bürgerkrieg mehr handelt, sondern um einen Konflikt, in dem Russland und Iran ihre regionalen Machtinteressen verfolgen. Ohne die Unterstützung von außen, wäre das syrische Verbrecherregime längst kollabiert. Fassbomben, Giftgas, systematische Bombardierung von Krankenhäusern und Schulen, Aushungerung der Zivilbevölkerung, ca. 400.000 Tote und Millionen Vertriebener – alles kein Grund, auch nur einmal zu protestieren, geschweige denn Mahnwachen oder sonst was vor der russischen Botschaft abzuhalten. Aber wehe, die NATO würde in den Krieg eingreifen, um humanitäre Korridore oder Flugverbotszonen durchzusetzen, das wäre ein Akt bösesten Imperialismus', dann wäre was los.
Es ist nicht, als ob sie nicht demonstrieren könnten. In puncto Syrien wollen sie nicht. (Quelle Flickr)
Das zeigt mir, dass es der Friedensbewegung nicht wirklich um die Opfer von Krieg und Gewalt geht. Es geht ihr auch nicht darum, irgendwie dazu beizutragen, Tod, Verstümmelung und Traumatisierung zu verhindern. Für real leidende Menschen hat sie null Interesse, jedenfalls solange sie nicht Ergebnis von Kriegshandlungen westlicher Staaten sind.

Ich höre natürlich schon die "Gegenargumente". Z.B. die USA haben auch dies und jenes etc. Und in Wahrheit haben sie natürlich auch den Krieg in Syrien verursacht, weil blablabla. Aber all das geht am entscheidenden Punkt vorbei. Wer für den Frieden eintritt, kann nicht einfach schweigen, wenn es mal nicht die USA sind, die die Bomben werfen. Schon gar nicht angesichts eines Konflikts in der Dimension des syrischen Krieges. Wer da plötzlich die Ausnahme von seinen jahrzehntelang lautstark vertretenen Prinzipien macht, demonstriert stilles Einverständnis mit Kriegsverbrechern. Es ist offensichtlich halb so schlimm, wenn russische Luftangriffe gezielt ein Krankenhaus nach dem anderen wegbomben, denn Russland ist immerhin ein Gegner des Westens, und der kapitalistische, liberale Westen ist bekanntlich die Inkarnation des Bösen, ergo ist das, was die Russen machen, gut. Diese Doppelmoral ist unsagbar verlogen. Wer so auftritt, hat für mich jedes Anrecht verloren, noch ernst genommen zu werden. 

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