10. Dezember 2016

Postfaktisch und die Aufklärung

Ich weiß nicht, ob „postfaktisch“ wirklich das geeignete Wort ist, um die in der Tat offensichtliche Veränderung des politischen Diskurses zu beschreiben. Anders als in den letzten Tagen zu hören war, geht es ja nicht um Gefühle statt Tatsachen, im Gegenteil, es geht nach wie vor um Tatsachen, um nichts anderes. Die AfD, Pegida, Trump, Russia Today usw. werfen mit (angeblichen) Tatsachen nur so um sich. Sie behaupten, dass Flüchtlinge überdurchschnittlich kriminell sind, dass sie nie für den Irak-Krieg waren oder dass russische Mädchen in Deutschland vergewaltigt worden sind und keine Hilfe von den Behörden bekommen haben. Alles Sachverhalte, deren Wahrheit behauptet wird. Mit anderen Worten, die schlimmsten Vertreter des postfaktischen Diskurses bewegen sich ganz klassisch auch weiterhin in einem Diskurs, der rein faktenorientiert ist.
Das Problem liegt also nicht darin, dass sie Wahrheit oder Unwahrheit negieren würden, sondern, dass ihre Thesen und Informationen einfach nicht wahr sind. Sie behaupten, dass etwas wahr wäre, aber in Wirklichkeit ist es falsch. Zum zweiten, und das ist das tiefer liegende Problem, sind sie meist auch nicht bereit, anzuerkennen, dass ein von ihnen behaupteter Sachverhalt nicht zutrifft oder zumindest nicht bewiesen werden kann, obwohl es so ist. Das heißt, sie sind nicht willens, übliche Kriterien von Rationalität (von Überprüfbarkeit über Plausibilität bis zur inneren logischen Konsistenz der behaupteten Aussagen) anzuerkennen, sondern bleiben dabei, dass der von ihnen behauptete Sachverhalt wahr ist, obwohl man ihnen gerade das Gegenteil bewiesen hat bzw. sie nicht in der Lage sind, ihre Behauptungen zu belegen. Deshalb wäre „postrational“ oder einfach das gute alte Wort „irrational“ der viel passendere Begriff als „postfaktisch“.

Wie geht man mit dieser Irrationalität am besten um? Es gibt nur einen Weg: man zerrt sie vor das unbarmherzig gleißende Licht der Vernunft. Wenn etwa behauptet wird, die Kriminalität von Flüchtlingen sei höher als von Deutschen, verweist man auf die Statistiken des BKA. Wird dem die Anerkennung verweigert, fordert man das Gegenüber auf seine eigenen Behauptungen zu belegen bzw. zu erklären, welche Beweise man hat, dass das BKA neuerdings Daten fälscht usw. Das ist mühsam und wird in vielen Einzelfällen sicherlich auch keinen Erfolg haben, aber man macht es den Irrationalen schon ziemlich schwer. Sie können nicht einfach alles unwidersprochen in die Welt setzen. Deshalb muss man sie stellen, und man muss dann auch ganz offen aussprechen, dass sie Unsinn reden, Dinge frei erfunden haben oder ihre Thesen auf inkohärenten Prämissen aufbauen usw.
Description de cette image, également commentée ci-après
Dieser respektlose Spötter war auch nicht bereit, die Klappe zu halten, wenn er auf Dummheit und Lüge traf.
Voltaire (Quelle Wikimedia)

Ich finde es ziemlich wichtig, dass man das tut. Irrationalität ist in der Tat wieder mal zu einer Waffe für ganz trübe Zwecke geworden. Dagegen muss man sich mit aller Kraft wehren, jede/r von uns, die/der sich dem Programm eines freien, kritischen Denkens, kurz: der Aufklärung, verpflichtet fühlt. Denn wenn wir diesen Kampf verlieren, steht zu befürchten, dass wir sehr bald überhaupt nicht mehr frei denken und vor allem sprechen können. Dann können die Herrschenden behaupten und tun, was sie wollen, ohne befürchten zu müssen, dass jemand ihre „Wahrheiten“ genauer prüft. Wie gut das funktioniert, kann man heute in Russland, der Türkei oder Syrien sehen. Von früheren Beispielen ganz zu schweigen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen