31. Dezember 2016

Slow Food und die Identitären

Die Slow-Food-Bewegung zählt sich zu den Kräften des Guten auf dieser Welt. Und gegen Kochen mit frischen Zutaten statt Fertiggericht aus Mikrowelle sowie Genuss am Essen und Trinken generell ist auch nichts zu sagen. Positiv auch die Ablehnung der Massentierhaltung, die allerdings nur theoretisch bleibt, solange der Slow-Food-Restaurantführer vorwiegend Restaurants empfiehlt, die Fleisch aus herkömmlicher Quälhaltung verarbeiten.

Anderes ist dagegen reaktionär und weist Parallelen zu rechten Positionen auf. Das beginnt mit der Traditionspflege.
Was alt ist (Rezepte, Gemüsesorten usw.), ist erstmal gut und muss bewahrt werden. Warum? Nun, weil es eben alt ist, d.h. aus einer Zeit kommt, in der die Globalisierung noch nicht alles durcheinandergewirbelt hatte und als noch traditionell gekocht und gegessen wurde, mehr braucht es erstmal nicht als Nachweis von Qualität. Das erinnert ein wenig an die nostalgische Haltung von „es gibt sie noch, die guten Dinge“. In der Tat ist SF so etwas wie das Manufactum des Essens. Ständig wird eine idealisierte Vergangenheit beschworen, die mehr in der Einbildung existiert als dass es sie wirklich gegeben hätte. Bewusstsein dafür, dass es je nach sozialer Schicht und Epoche völlig konträre Traditionen gibt, kann man bei SF nicht finden. Faktisch sucht man sich willkürlich einen Zeitraum und eine Tradition aus, die als Bezugspunkt dienen, bei SF in Deutschland dürfte es grob gesagt die bürgerliche Küche zweite Hälfte 19./erste Hälfte 20. Jahrhunderts sein, also etwa Kaiserzeit bis 1945. Danach bewegen wir uns bereits im Bereich der Innovation und Verwässerung. In Italien ist es vermutlich eher die ländliche Küche ärmerer Schichten. Kulturen anderer Epochen bzw. Schichten, in denen der Speisezettel völlig anders aussah, z.B. die höfische Küche des 18. Jahrhunderts gelten nicht als traditionell. Tradition hat also auch etwas mit Willkür zu tun, nicht mit Tradition. Doch selbst wenn es nicht so wäre, wenn es also eine tatsächliche genuine homogene Tradition gäbe, bleibt immer noch die Frage, was daran jetzt besser sein soll als an zeitgenössischer Küche von panasiatisch bis molekular. Irgendwas sollte doch inhaltlich besser sein, wenn man es fördern will, denkt man sich. SF aber denkt anders, dort ist alt gleich gut. Diese automatische Gleichsetzung ist reaktionär.

Noch fragwürdiger als dieser unkritische Bezug zur Vergangenheit ist der Regionalitätskult. Hier gilt zunächst ein ähnliches Prinzip. Was regional ist, ist gut (es kann noch so grauenhaft sein), also fördert man Restaurants und Projekte, die sich in Zutaten und Rezepten der Regionalität verschrieben haben. Dieser Ansatz kann überraschende Blüten treiben. Im Nobelhart und Schmutzig, einem Berliner Sterne-Restaurant, das sich konsequent der regionalen Küche verschrieben hat, gibt es keinen Pfeffer mehr, er kommt schließlich nicht aus Berlin-Brandenburg.
File:SlowFoodThera06676.JPG
Die Reaktion ist eine Schnecke (Quelle Wikimedia Commons)
Werfen wir aber einen Blick nach rechts. Denn da gibt es Gemeinsamkeiten. Vertreter rechten Denkens sind der Meinung, dass alles, was der eigenen Nation zuzuordnen ist, prinzipiell Vorrang genießen sollte. Die Bewegung der Identitären z.B. vertritt die Ansicht, es gebe unterschiedliche nationale Kulturen, die zu pflegen und zu erhalten sind. Abzulehnen ist die Integration fremder Elemente aus anderen Kulturen. Kultur ist etwas, das sortenrein bleiben soll. SF macht genau dasselbe, nur auf regionaler Ebene. Eine durch Innovation und Importe als bedroht wahrgenommene Kultur soll durch Abschottung bzw. gezielte Maßnahmen zum Artenschutz vor Veränderung bewahrt werden. In beiden Fällen wird die angebliche nationale bzw. regionale Kultur als normativ gesehen. In beiden Fällen wird diese Kultur außerdem als bedroht wahrgenommen, sei es durch Innovation, sei es durch Integration fremder Einflüsse. Einer Haltung, für die das Regionale/Nationale keinen Wert an sich darstellt, sondern sich sozusagen dem Wettbewerb mit dem Neuen zu stellen hat (was gut ist, bleibt, der Rest kann vergehen), kurz einer weltoffenen, liberalen Haltung, steht der SF/Identitären-Ansatz damit völlig entgegen. Auch SF arbeitet letztlich auf dem Gebiet der Identitätspolitik.


SF kommt aus einer linken Tradition, die Identitären gehören zum rechten Rand. Die Ähnlichkeit der Perspektiven ist dennoch kein Zufall. Rechts wie links haben eine Gemeinsamkeit, nämlich den Antiamerikanismus. Das Böse kommt aus Washington. Antiamerikanismus umfasst allerdings mehr als nur eine Ablehnung der USA. Es beinhaltet auch Antikapitalismus, Antiglobalisierung sowie einen gewissen kulturellen Hochmut gegenüber den USA. Genau darin liegt auch der Ursprung von SF, das aus einem Protest gegen die amerikanische Fast-Food-Kultur entstanden ist, so als ob es kein europäisches Fast Food von der Pizza bis zur Bratwurst gebe (dies aber traditionell, also gut). In diesem Gebräu vom Hochmut bis zur Liberalismusfeindlichkeit kommen links wie rechts harmonisch zusammen. Und auch SF gehört im Grunde zu den Kräften, die gegen eine offene Gesellschaft, und sei es nur im Bereich des Essens, arbeiten.

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